3.4 Fehleranalyse [nach oben]

Nun sollen die Auswandererbriefe im Einzelnen auf ihre regionalsprachlichen Besonderheiten untersucht werden, um die Varietät der regionalen Umgangssprache herauszuarbeiten. Als Maßstab wird die standardsprachliche Norm angesetzt. Die Abweichungen oder Fehler, die auf norddeutschen Dialekt zurückgeführt werden können, wären dann die gesuchten Regionalismen. Diese Elemente der Umgangssprache sind Produkte der Konvergenz von 'Dialekt' vs. 'Standardsprache':

"[B]ei der Wahl der Bezeichnung Konvergenz [steht] die Vorstellung von einem Veränderungs- bzw. Entwicklungsprozeß im Vordergrund, und zwar von einem Veränderungsprozeß, an dem zwei oder mehr unterschiedliche Varietäten beteiligt sind. Diese Varietäten treten z. B. dadurch in Beziehung, daß Sprachformen der einen Varietät in den Strukturzusammenhang der anderen Varietät übernommen werden und dann in dieser Varietät als Varianten neben der angestammten Varietät vorkommen." (MATTHEIER 1996, 33)

Außer diesen varianten Formen wären als weitere Konvergenzprodukte Kontaminationsformen möglich, "die einen Kompromiß zwischen zwei verschiedenen [Formen] darstellen ..." Als "Übergangsformen zwischen Dialekten und Standardsprache" ergeben sich beim Aufeinandertreffen dieser beiden Varietäten "Regionalsprachen, regionale Umgangssprachen oder der sogenannte neue Substandard" (MATTHEIER 1996, 32).

Die gleichsam aus dem Dialekt importierten Varianten bzw. die dialektgeprägten Kontaminationsformen müssen in ihrem neuen Kontext des neuen Substandards nicht die Funktionen des Dialektes ausüben, obwohl sich dessen Eigenschaften hier niederschlagen.

Folgende Dialekteigenschaften könnten sich in den Auswandererbriefen bemerkbar machen (nach PROTZE 2001, 505 - 506):

Neben diesen Eigenschaften des Dialektes werden in den Texten noch andere wirksam sein, die mit Hinblick auf den sprachlichen 'Standard' einerseits zwar eine Fehlerquelle darstellen, andererseits aber die Umgangssprache bilden als 'Substandard'.

Nordbüttel 12ten Nov. 1867

ich hätte Dich längst geschrieben ...
...
Sollten wir euch mit diesem Schreiben beÿ guter Gesundheit antrefen das
Soll uns alle eine Freude sein Was uns anbetrift sind wir alle gesund
dar wir lange auf einen brief gehoft haben aber vergebens so ergreifen wir
die feder um euch einen brief zu Schreiben einen Brief haben wir an
euch geschrieben Diesen habt ihr gewiß nicht erhalten sonst hättet ihr uns gew[iß]
schon wieder geschrieben Da wusten wir noch nicht wo du übergekommen bist
keiner konnte uns sagen mit welchem Schiff du übergekommen bist es war
ein böses gerücht über dir verbreitet sie sagen hier du bist an ein Räuber
Schiff verkauft weiter einigen sagen ihr seid alle zugrunde gegangen Das
Mach uns den grösten Kömmer aber in dieser traurigen Zeit gehet auch
ein freunden Stern auf ich wahr einmahl eines Abends noch den Dorf
da erhalten wir einen Brief von dir was freute ich mich sehr das du
mit deinen Kindern glücklich in der neuen Welt angekommen wahrs
Die Reise ist wohl nicht die beste gewesen aber der Trost ist voll beÿ
dir gewesen noch überstanden leiden folget freude Dein Sinn
stand ia immer noch Amerika und dein Wunsch ist nun erfül[lt]
Schreibe uns doch sobaldt als möglich wie es dir ergangen ist auf
die lange Reise mit deinen Kindern wie du deine Sachen über
gekriegt hast ... haben sie dir auf von deinen Sachen
gestohlen? ...
Wo hast du Jürgen getroffen hast du Jürgen dein Mann noch
gekannt und die Kinder ihren Vater? 2 Jahren seidt ihr von
einander getrennt gewesen Die Tag des wiedersehens ist
dar gewesen Die Freude die ihr dar gehabt hat kann ich
gewiß nicht beschreiben Die Zeit die du hier gewesen bis all[ein]
hast du viele Stunden in Thränen zugebracht und wir wollen
alle hoffen das all die Thränen Stunden nun Freuden Stunden
vor dir sind Jürgen die Zeit die du allein zugebracht hast auch ist auch
ia nicht die beste gewesen ... frau und Kinder in Deutschland ...
leben allein nun wollen wir euch alles gute Wünschen was ihr
dar haben können 2 Wochen noch der Zeit all du von uns ent
fernt wars dar kamen Anna mit ihren 2 Kindern wieder
beÿ uns und war sehr traurig das sie nicht einmahl nie
mit dir reden könnte und nicht in diesen leben wieder
Zu sehen das ist sehr hart aber es war ia nicht möglich uns
was man nicht ändern kann das muß man nehmen Geduldig
... ist hier auf 4 Wochen gewesen und ist nun auf noch Amerika ...
... ist noch immer auf ihre Alte Stelle und hat es sehr gut und
verdienet ein großes Lohn Johann ist noch immer beÿ ... und ...
auf noch ein Jahr ... und hat viele Kinder ...

Zwischen den 37 jetzt fehleranalytisch zu untersuchenden privaten Briefen bildet der vorliegende eine Ausnahme, da er nicht von einem Auswanderer verfasst wurde. Beim Lesen fällt als dialektale Spur der niederdeutsche Einheitskasus beim Pronomen (WEBER 1995, 270) ins Auge, der sich in der Verwechslung der Kasus 'Akkusativ' vs. 'Dativ' äußert: 'ich hätte Dich längst geschrieben' vs. 'es war ein böses gerücht über dir verbreitet'. Eine Besonderheit bildet die Schreibung der Präposition 'nach' als "noch": 'ich wahr noch den Dorf', 'noch überstanden leiden', 'Dein Sinn stand ia immer noch Amerika', '2 Wochen noch der Zeit', 'auf noch Amerika'. Ein Lese- bzw. Transliterationsfehler kann ausgeschlossen werden, da die Temporalpartikel 'noch' ('Da wusten wir noch nicht') sowie die Gradpartikel 'noch' ('auf noch ein Jahr') im Text richtig geschrieben sind und sich nicht von der Schreibweise der Präposition unterscheiden. Vermutlich wurde hier die nd. Rundung des hd. Langvokals a > o in der Schreibung nachempfunden.

Liebe Mutter, Schwestern und Schwager! Pittsburg, 26te Octbr 1856.

Euren Brief vom März 1855 habe ich erhalten, und daraus gesehn
daß so manche Veränderung vorgegangen ist, und auch der Vater seine irdische
Laufbahn beendigt hat. Es hat mir leid gethan um Euretwillen, indem Ihr da=
durch in eine mißlichere Lage versetzt seid, als es zuvor der Fall war, was aber
seine Person anbetrifft, so kann ich nur gleichgültig dagegen sein. Liebe Mutter,
Schwestern und Schwager, Ihr müßt verzeihen daß ich mich so ausspreche, indem
ich mit den besten Willen nicht anders kann, denn, hat Er nicht die beste Gelegenheit
gehabt, besser für seine Familie zu sorgen, als Er es gethan hat, und hätte Er nicht
auch noch, wenn es in seiner Macht gestanden wäre, unseres Mütterliches Ver=
mögen dazu verschwendet. Ich wäre nicht hier in Amerika, hätte der Vater besser
für uns gesorgt, denn daß werdet Ihr selbst einsehn, hätte ich draußen mich
etabliren wollen, so wäre mein Geld darauf gegangen, bevor ich nur anfangen
konnte, und dann erst hatte ich schlechte Hoffnung, jemals gut auszumachen,
denn wie Ihr wohl wüßt, ist ja mit der Büchsenmacherei nicht mehr
daß was Sie war, und sind auch schon zu viel Büchsenmacher dort.
Was wäre mir nun übrig geblieben, ein ander Geschäft kann man ja drau=
ßen nicht betreiben, außer was man gelernt hat, und da machen Sie
einen viel zu schaffen, daß man dies noch kann, somit wäre mir dann
nichts übrig geblieben, als zu taglöhnern, und dazu hätte ich mich doch nicht
entschließen können. Hier in Amerika ist dies ganz anders, da kann
treiben was man will, worauf man denkt am besten auszumachen,
daß treibt man. Es ist aber auch wieder ein eignes Leben hier, geht es schlecht,
so kümmert sich niemand um einen, hat man da nicht nahe Verwandte
die etwas thun können, so ist man ganz verlassen ...

Dieser Text enthält als phonetische Abweichung die Form wüßt statt wißt (falsche Rundung). Außer der falschen Schreibung des Demonstrativpronomens 'das' als "daß" ist die Orthographie wohl in Ordnung. Hingewiesen sei darauf, dass die Schreibung th (gethan, thun) der Norm des 19. Jh. entspricht:

"Geschrieben wird jedenfalls th im Anlaut: That, Thal, Thee, Thier, Thor, Thräne; in der Endsilbe '-tum': Reichthum, Irrthum, usw. Diese allgemeine Anlautregel wird allerdings zur Unterscheidung gleichlautender Begriffe mit verschiedener Bedeutung unterbrochen: Thau (ros)/Tau (rudens) oder Thon (argilla)/Ton (tonus). - Im Auslaut erscheint th in Loth, Noth, Rath, Wirth, roth usw." (GLADT 1976, 75)

Das Verbsuffix '-iren' statt heute '-ieren' ist auch korrekt.

Lieber Freund Jürgen! Fruitvale Jun 15. 08

Lange ist es her das wir uns geschrieben haben ich denke
Du hast mich vergessen. Ich aber wenn ich das Album einmal
sehe lagt dein Bild mir entgegen u. immer bis Du mein
bester Freund Jürgen gewesen, folgedessen vergaß ich deiner nie.
Ich bin wieder weiter gezogen weiter in die neue Welt.
Lieber Freund wie herrlich die Welt zu bereisen wie ent-
zückent. Zu Anfang erst mein Lebenslauf erzählen.
War zuerst bei Onkel Engelland in New. Holstein
auf der Farm dann kam ich nach Wagner ...
...
1 Juli 1907 da in Neudorf kam auch meine Irma u. wir
haben da geheiratet ich war Zimmermann u. verdiente schönes
Geld. Dann legte ich eine Schlachterei an die sehr gut
ging. Da verdiente ich schönes Geld ich hatte einen Umsazt
von 25-30000 M das Jahr da habe ich eine schöne Summe mir
erworben. ...
Ebenfals mein Freund Fritz Engelland der hatte das
Hottel da mit 25 zimmer das verkaufte er u. so kam
es das wir von dem berümten British Columbien
hörten. Schnel entschloßen wie wir Amerikaner sind
beschloßen wir uns die Wunderland einmal anzuschauen.
So reisten wir den los durch Alberta nach British Columbien
im Monat Mai. Es war eine herliche Fart. So schön wie man
es nicht schreiben kann.

Sowohl WEBER 1995 als auch ELSPASS/DENKLER 2003 beschreiben als Kennzeichen norddt. Umgangssprachen die Vertauschung des Graphs <g> mit der Graphenkombination <ch>, wie sie sich hier zeigt: lagt statt lacht. In der norddt. Umgangssprache würde das Graph <g> oft als Frikativ [ç], [x] ausgesprochen (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 144), was der Schreibung <ch> entspricht. Im vorliegenden Beispiel ist von einer Hyperkorrektur oder Hyperkorrektion auszugehen:

"Hyperkorrekturen sind Phänomene der Anpassung von Dialektsprechern an die Standardsprache ... [P]honetische Übersetzungsregeln vom Dialekt zum Standard [werden] übergeneralisiert und damit falsch ..." (SCHWITALLA 1997, 49)

Hyperkorrektes Sprechen würde in diesem Fall bedeuten, dass <g> in lagt plosiv gesprochen wird.

  Holsten 1 Feb.
  Liebe Mutter!

Nicht vergessend Euch Allen ein
fröhliches Neu Jahr zu wünschen
was Ihr gewiß schon längst vergessen
habt, und von uns nachträglich erfolgt
daß der liebe Gott Euch bis dahin
u. auch ferner Ges[u]nd erhalte.
Nämlich daß ich so lange mit Schreiben
gezögert könnt Ihr denken daß der
Brief von Charleston die Schuld.
Es wird Dir nicht schwer |leicht| sein
die Nachricht zu haben von Her. u Christ.
daß selbige die zwei Brüder
kommen lassen, wollen Her Christian
schreibt nämlich so; Es wird unsre
liebe Mutter nicht leicht sein von
beide zu trennen, aber doch hast
Du es leichter, Otto wollen sie
... Schulkenntnisse vervollkom...
lassen, denn sind hier sogut

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Christliche Prediger wie in Deutschland
und kann Alles so gut genießen wie da in
Otterndorf, doch überlegt es Euch und
überlaß es den Kindern auch
in Ihren eignen Willen.
Meiner Meinung nach schönere
passendere Gelegenheit wär es
für Oddel nicht, da er mit seinen
Bruder die Reise zusammen
machen kann, denn glaubt nur
wer jung rüber kömmt, kommt
zur rechten Zeit. Und auch so denk
ich dabei, Nun gehts nicht mehr
liebe Mutter mit Dir da
so ist es für Dich immer nicht so schwie[ri]g
Johanne wird Confir[mi]rt, so die
reihe nicht so lang, verkauf den
Krempel und komm, zu uns
Du kannst Dein Brod ruhig u in Fried
bei uns essen, der liebe Gott
lenkt auch Alles zum besten
ich hab ja einen guten Mann

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Freilich ist hier Augenblicklich
fürchterliche Zeiten, viele große
Geschäfte falliren, ganz alte
Leute wissen sich nicht solche
Zeiten zu erinnern, Tausende
von Menschen außer Verdienst
es wird hoffentlich bald, strenge
Winter augenblicklich hier.
(Theodor wohnt nicht mehr [bei] uns ich leb
zufrieden jetzt, ihr kennt ja
daß Bummeln) sonst beim
Alten, mein Miesel ist dick
u fett, Charli auch, und mein
Claus. Einliegend die zwei
Scheine die habt Ihr zu [zeigen]
Ihr werded auch wohl
vom Schiffs[agent] einen
Brief bekommen, jetzt
muß ich schließen und hoff
recht bald ein Brief v[on]
Euch

  Eure liebe Betty.

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  27 Februar

Zu Deinen Geburtstag wollt
ich noch schreiben, hab aber bis
dahin keine passende Gelegenheit
unfranki[rt] den Brief zu senden
... deshalb von Allen ...
Herzlichen Glückwunsch in voraus
wir denken deshalb am besagten
Tage gewiß Dein ich vergaß
keinen der Tage. lebt wohl
und schreibt uns gleich wieder
und grüße alle Geschwister
und hoffentlich sehen wir
uns nach langer Trennung
bald wieder.

Verkauf ja nicht Deine ...
die mußt Du mit bringen.

  Deine Betty.

"Noch bis ins zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ist der zu Adelungs Zeit ausnahmslos verwendete Umlaut in den Gegenwartsformen von kommen anzutreffen, also: du kömmst, er kömmt usw." (GLADT 1976, 126)

Die Verwendung der Form kömmt als Variante neben kommt im Text ('wer jung rüber kömmt, kommt zur rechten Zeit') erlaubt die zeitliche Einordnung des Briefes in die erste Hälfte des 19. Jh., die Auslassung des (Hilfs)verbs 'haben' im Syntagma 'Nämlich daß ich so lange mit Schreiben gezögert könnt Ihr denken daß der Brief von Charleston die Schuld' deutet auf eine Vorliebe der Sprecherin für altertümliche Ausdrucksweisen. Nicht verborgen bleibt zudem die norddeutsche Herkunft der Sprecherin bei Betrachtung der Kasusverwechslungen a) 'Akkusativ' vs. 'Dativ': 'Es wird unsre liebe Mutter nicht leicht sein von beide zu trennen', 'in Ihren eignen Willen', 'mit seinen Bruder', 'Zu deinen Geburtstag', b) 'Akkusativ'/'Nominativ' vs. 'Genitiv': 'ganz alte Leute wissen sich nicht solche Zeiten zu erinnern', c) 'Nominativ' vs. 'Akkusativ': 'ich hoff ein Brief von Euch'.

"Die weitgehende  N i v e l l i e r u n g   d e r   K a s u s e n d u n g e n , besonders bei Dativ und Akkusativ, gehört wohl zu den markantesten Kennzeichen nd. Dialekte ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 147)

Bremerhafen den 6. August 1846

Lieber von Ahnen ich benachrichtige Ihnen daß J. Stüver
bereitzt am Bord deß Schiffes Elise in See gegangen ist.
weiter weiß ich nicht zuschreiben, den er hat an fracht
33 C gold bezahlt. Und ist Munter und froh am Bord

Ich bescheinige hiedurch daß ich
Lsd 40 C gut erhalten habe.

Bremerhafen  
  A.J. Dreyer

Wohl wegen des formalen Charakters dieses Briefes vollzieht sich die Kasusverwechslung 'Akkusativ' vs. 'Dativ' hier zugunsten der Dativform (Hyperkorrektion): 'ich benachrichtige Ihnen'. Typisch norddeutsch wäre die Kollokation mit Adverb 'gut' in der verbalen Konstruktion 'etw. gut erhalten haben' (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 152).

Petersburg den 30 November 1857 Menart Canti Illi[nois]

Lieber Vater und Mutter nun will ich euch benachr[ichti-]
gen wie uns die Reise gegangen hat 3 Tage sind wir [in]
Bremerhaven gewesen 7 Wochgen und 3 Tage auf die See
gewesen wir hätten schlecht von essen und Trinken, we[nn]
wir uns hätten nicht selbst was mit genommen dan hätten
wir Hunger leiden müssen wir waren alle Munter un[d]
Gesund über die See ich bin selbst 8 Tage schlecht krank gew[esen]
nach her waren wir alle Muntter gesund uns kleinn
Gerd war jmmer Muntter auf Damffschieff sind wir 8 T[age ge-]
wesen den 8 November sind wir bei Bruder Hinrich
angekommen da kamen wir mit Freuden zusamen
alle gesund und Munter wir wohnen beieinander in
ein Haus die aussichten sind hier viel besser als in Deut[schland]
viel kan ich euch noch nicht von erzählen den ich habe noch nic[ht]
viel von gesehen von Essen und Trinken ist hier viel bes[ser]
speck und Fleisch Mehl es ist hier alles billig zu ka[ufen]
100 Pfund schpeck kostet 4 Dulahr ... Fleisch das
ist auch so billig Mehl 100 Dulahr 76 Zent Bruder Ihnke
ist auch nahe bei uns er dient bei Bauer er ist von
Waterloo wechgereißt er kan hier mehr verdienen
Schwester Trienke ist noch gut zufrieden ihre Johann ist diesen
Sommer gestorben die andern beiden sind noch munter und
gesund Heinrich Rahmann der hat in Vorsommer geschrieb[en]
das er diesen Herbst wieder kam Ihnke ist für 5 Wochen
beÿ Hinrich gekommen da war er noch nicht wieder
da wir sind 40 Stunden von Trienke entfernt

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wir sind mit 400 und 50 Persohnen auf Schieff
gewesen das wahren zu viel leute darum hätt[en]
wir Schlecht von Essen und Trinken, es sind 6 gestorben
auf Schieff Marten und Magret Tina die haben ihr beid[en]
Kinder verlohren Johann Ritterbursch sein Jüngste ist auch ge[storben]
hier muß ich für diesmahl schließen schreibt uns
sobald ihr könt uns wieder schreibt die Adresse an
Albert Hillers in Petersburg Menart Canti Staat Illi[nois]
Nord Amerika, schreibt uns was für Lehrer wohl zu
Lehrhavn gekommen ist

ich und Bruder Hinrich wir bleiben
wir haben 6 Schweine eure Treuen Kin[der]
geschlachtet 2undhalb Albert Hillers
für Hinrich und 3und Talke M Hillers
halb für mich Stück für  
10 Dulahr ein jeder ist  
zweihunderundfunfzig  
Pfund speck und fleisch  
haben wir genug  

Die Kollokation mit dem Adverb 'gut' begegnet hier sogar in der semantischen Umkehrung: 'Trienke ist noch gut zufrieden' vs. 'ich bin schlecht krank gewesen', 'wir hätten schlecht von Essen und Trinken' (2-mal). Die symptomatischen Schwierigkeiten im Gebrauch des Graphs/der Graphenkombination <g> vs. <ch> zeigen sich in der Konglomeration beider Formen in Wochgen sowie in der Vertauschung in wechgereißt. Beide Realisationen wären keine Hyperkorrektionen, im letzteren Fall schreibt der Verfasser, wie er spricht. Die korrekte Schreibung wäre mit Wochen auch belegt. Auffällig ist hier zudem der Wegfall des Artikels in Präpositionalphrasen (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 149): 'Gerd war jmmer Munter auf Damffschieff', 'er dient bei Bauer', 'wir sind auf Schieff gewesen'.

"Charakteristisch sind für norddt. Umgangssprachen im Bereich der analytischen Verbformen  V e r t a u s c h u n g e n   d e r   K o p u l a  sein und haben." (ELSPASS/DENKLER 2003, 149)

Dies ist im Syntagma 'nun will ich euch benachrichtigen wie uns die Reise gegangen hat' zu sehen.

  Geschrieben den 16 ten Januar 1859.
  Liebe Eltern

Wir wollen euch nachricht geben wie uns es geht in Amerika wir sind
Gott sei Dank noch gesund und munter und das hoffen wir auch von euch
unsern kleinsten Sohn Gerd hat der Liebe Gott zu sich genommen
den 25 März er hat eine langweilige Krankheit gehabt es war
gar nicht zu helfen er hatte es in den Rücken Der Kopf ging zuletz
gans hinterüber Wir haben diesen Herbst alle das Fieber gehabt
als bloß unsere Tina nicht Das Fieber ist hier diesen Herbst heftig
gewesen Das ist gekommen wegen den nassen Sommer
wir haben hier diesen Sommer viel Regen gehabt Das Land das wir
hatten das war alles nasses Flaches Land wir könten es nicht bearbeiten
das wir Korn darein Pflanzen können etliche hohe plätzen hatten wir
Da haben wir gutes Korn von bekommen wir hatten es gerent das wir
müssen den dritten theil abgeben hätten wir es für Geld gerentet so
währe es harter gewesen Der Rust ist hier auch stark auf die Früchte
gefallen wegen die Nässezeit wir haben 20 Acker Weizen gehabt und 10 Acker Haber
80 Acker haben wir im ganzen gehabt Wir haben drei Arbeits
Pferde und zwei schöne Füllen zwei Große Ochsen und drei Kühe 2 Kälber
vierzig Schweine die sind hier leicht zu erhalten hier ist im Sommer viel
Gras im Holze und im Herbst sind hier viel Eikeln wo sie sich von
ernähren wenn sie nur im Winter etwas zu gefüttert währen
Hühner das wissen wissen wier selber so genau nicht es gefält uns hier sehr
gut wier sehen doch ein das wier unser Leben hier besser machen können als in
Deuschland wier schlachten diesen Herbst vier Schweine die sehen
auch schön aus wir haben nun auf das Nächste Jahr ein andern Platz gerentet
wier und Schwager Heinrich Rahmann zusammen Da sind 100 und 80 Acker
Land bei Das ist aber gutes Gutes Land das haben wier für Geld
zwei und halben Thaler Acker wier haben diesen Herbst 20 Bussel
Weizen zusammen gesähet wier kommen zusammen in ein Haus
Da sind drei Wohnungs ein wir wolten das ihr hier auch wahren dann
wahren wier alle zusammen Bruder Michel der ist noch bei uns er bleibt
das Nächste Jahr auch noch bei uns wir müssen da vieleicht mit 3 bis
4 Spann auf zu Pflugen Das Land ist groß da ist viel Neues Land bei

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Wier haben auch einen Brief von euern Sohn Ihnke gekriegt das er wieder
zurück gekommen ist von Neubrasko nach Waterloo viel neues hat er uns
nicht geschrieben das Land war da gut aber wenig Holz wir sollten ihm wieder
schreiben sobald wir können wir wollen euch auch etliche Wörter schreiben was die
Früchte hier kostet Bussel Weizen kostet hier in Petersburg 1 Thaler
und das Korn kostet 40 bis 50 Zent Bussel Diesen Herbst nächsten
Frühyahr kostet es vieleicht 70 bis 80 Zent Das beste Weizen Mehl
kostet 100 Pfund 3 Thaler Haber das wissen wir nicht da ist kein sage
von ist auch wenig gekommen Der Rust hat hat sie weggenommen
Pferde und Rindvieh da ist kein handel von.
Bruder Michel der ist noch unverheirathet der ist noch willens ein
Mädchen aus Deuschland zu haben ich glaube da sind noch genug
wenn ihr noch etliche wissen die da wohl lust an haben nach Amerika
die können sicher zu uns kommen denn wir schreiben die Addres genau
wir wohnen nahe bei Petersburg wir glauben nicht Liebe Eltern das
ihr mehr von eure Kinder gehen lassen

  Michael Hillers

Liebe Eltern hiermit wollen wir schließen wier wollen Hoffen
das euch diesen Brief in aller gesundheit antreffen möge
Grüßet alle verwanten von uns Liebe Eltern nun schreibt uns
bald wieder wie euch es noch geht.

Wenn ihr uns wieder schreibt dann schreibt ihr die Addres an Albert Hillers

  Petersburg
  Menart Caunti
  Nord America
  Staat Ilinois Albert Hillers
  Talke M Hillers

Kurzvokal u statt o in Rust ist als nd. Merkmal auf fehlende Senkung zurückzuführen.

"Der s-Plural wurde schon im 18. Jh. als Merkmal der norddt. Umgangssprache genannt und hat sich allen Anfechtungen der Schulgrammatik zum Trotz ... bis in den heutigen Sprachgebrauch ... erhalten." (ELSPASS/DENKLER 2003, 146 - 147)

Die Form Wohnungs klingt allerdings auch in norddeutschen Ohren verkehrt und könnte auf den Amerikanismus zurückgehen, der im Text die Formen Korn, gerent, gerentet hervorgebracht hat:

"Es verwundert nicht, daß die Auswanderer in der englisch geprägten Umwelt schnell auch englische Wörter in ihre deutsche Sprache übernahmen." (WEBER 1995, 271)

Die Form Eikeln deutet aufgrund der fehlenden 2. Lautverschiebung k > ch auf das Sprachgebiet nördlich der Benrather Linie. Interessant ist die Form Haber (2-mal), die auch an anderer Stelle noch vorkommt: Nd. wie nhd. wäre graphisch <v> oder <f> geboten. Die Schreibung <b> deutet auf die sth. Aussprache urgerm. [urgermanisches b], die sich im Sprachraum des Sprechers gehalten haben könnte. Die "Getrenntstellung von ... Pronominaladverbien, die immer wieder als Wortstellungsauffälligkeit nordwestdt. Umgangssprachen beschrieben wird" (ELSPASS/DENKLER 2003, 154), findet sich im Text überaus häufig: 'Da sind 100 und 80 Acker Land bei', 'wier kommen zusammen in ein Haus Da sind drei Wohnungs ein' ('darin'), 'da ist viel Neues Land bei', 'da ist kein sage von', 'da ist kein handel von', 'die da wohl lust an haben'.

  Geschrieben den 18 Abril 1861

Geliebte Mutter und geschwister
Ich nehme jetzt die fäder zur hand euch
einen brief zu schreiben Ich grüße euch
freundlich miteinander wir sind Gottsei=
dank noch alle Munter und Gesund
und das hoffen wir auh von euch
Wir haben den 29 ten Dezember eine junge
Tochter überwunden sie ist getauft von
einen Luterischen Prediger mit namen
Talkemaria Ihnke und Hillert haben
diesen Winter bei unsern Prädiger
gelernt und sind am Palmsontag
Komfamirt wir wohnen in Nabraska
wir haben uns hundert und achsig gekauf
acker land gekauft für sechsän hundert
Thaler wir haben 70 acker gebrochen
30 acker Holzland wir haben 2 Pferde
13 stück Hornvieh und 28 stück schweine
Heinrich Rahmann und Ihnke Kleihauer
sind auch noch Munter und Gesund mit
ihren familin Heinrich Rahmann hat
sein Platz hir wieder verkauft er
Wont jetzt in Nort Massuri 22 Meilen
von uns er hat einen Platz gerent
Ihnke Wont 5 meilen von uns er hat hundert
und 60 acker land gekauft Albert Hillers

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wir haben einen langen Winter gehabt
es war ser kalt und haben viel
schne gehabt jetz ist es Früling wir
haben 8 acker Weitzen gesähet und
7 acker Haber Weitzen kostet hir 2 Thaler
bussel Haber 40 Zent das Korn 50 Zent
bussel Mer weiß ich für diesmal nicht
zu schreiben fil Mals grüsen
an euch allen schreibet uns bald
Wieder Ihnke Hillers

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Grüßet auch unser schwager Behren[s]
in Emden mit sein famili
und wen ihr lust habt hier her
zu kommen den komt alle miteinander
ihr könt euer leben hier viel leichter
Machen wie in Deuschland es ist hier
eine gesunde Gegend Grüset auch
unser schwager folkert gerdes
mit sein fa[milie]

Die Form Haber kommt 2-mal vor, die Form Korn könnte als deutsches Lexem 'Korn' amerikanisch semantisiert sein, das dt. Lexem 'Mais' wird nicht verwendet. Interessant ist, wie der Sprecher bei Maß-, Mengen- sowie Währungsbezeichnungen deutsche und amerikanische Begriffsdimensionen vermischt: 'wir haben 8 acker Weitzen gesähet und 7 acker Haber Weitzen kostet hir 2 Thaler bussel Haber 40 Zent das Korn 50 Zent bussel'. Deutsche und amerikanische Währungseinheiten stehen sich hier gegenüber ("Thaler" vs. "Zent"), das Fremdwort 'bushel'/"bussel" (Volumenmaß) trifft auf das deutsche Wort 'Acker'/"acker", wodurch nicht klar wird, ob damit das deutsche oder aber das englische Feldmaß (engl. 'acre') gemeint ist. Auch die gemeinte Bedeutung von Korn ist im Kontext von Weitzen und Haber nicht gerade klar ersichtlich. Die Sprachmischung und der notizenhafte Stil stehen im Gegensatz zur Form gesähet, die eine Verbundenheit des Sprechers mit den deutschen sprachlichen Traditionen und Regeln erkennen lässt: Das nachtonige e war in der 1. Hälfte des 19. Jh. Normkriterium (vgl. GLADT 1976, 126).

Braunwill den ersten März 1873

Inigst geliebte schwager
und schwiegerin nebst Kinder
und onkel da ich so lange
[n]ichts von euch gehört habe
habe ichs gewagt euch einen
brief zu schreiben Ich bin
noch gesund mit meine Kinder
was ich auch von euch hoffe
unse Tina und Ihnke sind
verheiratet Raman Kleihau[er]
und Mannot sind auch noch
gesund mit ihre famili
es ist hier ein schlechtes
Sommer gewesen Korrn
ist hier w[e]nig ihn kommen
Weitzen und Haber so
zeemlig Kathofel wenig
das Korn kostet 70 Zet Weitzen
60 Zent Haber 50 Zent Katahfel
ein Thaler
es ist hier ein harter winter

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Iich habe hundert Acker
land in Koltur Achsig
acker ist Hols und vieh
weide Ich habe 6 Pferde
14 stück hornvie 23 schweine
wir haben letzten Sommer ein[e]n
großen Thurm gebauet
wir haben eine schöne
Klocke sein gewigt ist 15
hundert Pfund
Ihnke Hillers ist verheitatet
mit Sophia Balk die haben
einen kleinen Sohn
Ihnke Rahman dasselbe
Tina ist verheiratet
mit Hinrich Kardes hier
mit Will ich schliesen Seid
vielmals gegrüset von mir
und meine Kinder grünset
schwager Behrens mit sein
famili Ich bin dein geteuer freund
Albert Hillers

[neue Seite]

Jetzt will ich euch noch
ein wenig mitheilen
das geschwister ist zusam
en gewesen und haben sich
vereinigt eine Volmacht
zu schicken durch einen
Kunsel über das väterlige
und mütterliche erbschaft
darauf möchte ich dich doch
noch erst gerne schreiben
was ihr davon sagt
Namendlich von der taxsa=
si und was uns das gesetzt
erlaubt es werde besser
das wir es in guter liebe
miteinander abmachen
nun schreibe mir in diesen
früh[j]ahr wieder und verseume
es nicht dan mach einer
von uns woll kommen
und die Volmacht selbst zu
überreigen das ihr reine ibtek
geben könt ...

[neue Seite]

Wen du wieder
schreibst dan bemerke
ob folkert und talk
noch leben und wo sie
wohnen
grüse sie von mir Adresse

  Braunwill
  Nebraska
  Nemeha Cou
  Post off Fiebing

Ein weiterer Beleg des <g>-<ch>-Komplexes findet sich in der Form gewigt als Hyperkorrektion. Die Form Klocke kann ebenfalls auf eine Hyperkorrektion zurückzuführen sein, die auf der Substitution von <g> durch <k> beruht,|6| oder ist durch nd. 'Klock' oder ndl. 'klok' beeinflusst. Das Verbendungs-e in gebauet deutet auf das Bemühen des Sprechers um eine korrekte Ausdrucksweise: 'wir haben letzten Sommer einen großen Thurm gebauet wir haben eine schöne Klocke sein gewigt ist 15 hundert Pfund'. Die Substitution des Verbs 'sein' durch 'werden' könnte auf Hyperkorrektion zurückzuführen sein: 'es werde besser das wir es in guter liebe miteinander abmachen'. Der Konjunktiv I der Form werde korreliert mit dem gemeinten Konjunktiv II der phonetisch ähnlichen Form wäre, die ersetzt wurde.

America den 20 Januar. 1856.
Geliebte Eltern Bruder Schwager und Schwestern!
Euer Brief von 2 Juni haben wier richtig erhalten, und
dar aus gesehen das unser Onkel und Tante Gestorben
sind, wo wier im grinsten keinen gedanken aus hätten,
das Ihr andern noch alle Gesund sind freut mich
Herzlich, ich habe diesen Herbst zuweilen das Kalte
Vieber gehabt, aber ich bin jetzt wieder Gesund.
[Ic]h bin jetzt nicht mer wo ich gewesenbin ich Arbeite jetzt
bei Monat, und verdiene 9 Dollar, es ist nache dabei wo
Ich gewesen bin, ich denke mit Gesundheit diesen Sommer
13 - 14 zu verdienen. Die Frucht ist dies Jahr gut
geraten, aber doch ziemlich theuer, Weizen kostet 1 [D]ollar
25 Cent, Gersten hat den nämlichgen Preis, Korn 25 Cent,
Türkichenweizen wird es hier nicht genant, das heißt
Korn. Kartoffeln 60 - 80 Cent das Buschel, das H
Pork kostet 6 7 Cent, wen es bei ganze Schweine
verkauft wird. Ich habe schon an H Jacobs seine
Söhne Geschrieben, und sie haben mir auch schon wieder
Geschrieben, als ich nicht besser weiß ist J H Bal=
ster mit seine Vamili und H Jacobs seine Söhne
noch alle [i]n Leben, wier sind vieleicht noch 100 Meilen
aus einander. J[o]hann H Hespen Ist jetzt bei Hinrich
Boien Er hat nach Deutschland Geschrieben und noch keinen
Antwort wieder erhalten, wen Ihr gelegenkeit habt,
so fraget mal darnach, und saget an Ihr das sie Ihn
einen Brief [w]ieder schreiben, den Er hat verlangen

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darnach. Er ist noch recht Gesund. Schreibet mir von der
[T]heilung der Weide, ich möchte esgerne wissen wie es da
mit stet, wie viel habt Ihr auf den Brief bezahl[t] den
ich Euch geschickt habe, ich habe 30 Cent darauf bezahlt,
mein Schreiben hat für diesmahl ziemlich lang gedauert
ich habe noch etwas gewartet um nachricht von Heinrich
zu haben aber er hat kürzlich nicht Geschrieben und ich
habe auch schon mere malen wieder bei Euch
gewesen und habe Euch alles erzählt wie es in
America wahr Ihr sollt es vieleicht wohl nicht
wissen weil es [n]ur bloß einen Traum wahr
Schreibt mir so bald als möglich ist wieder.
Viele Herzlige Grüße an Euch allen
und die nach mich fragen.

  Euer Sohn
   
  Ihnke Kleihauer

Eine Getrenntstellung des Pronominaladverbs 'woraus' zeigt sich im Syntagma 'wo wier im grinsten keinen gedanken aus hätten'. Der " E i n h e i t s p l u r a l   - e t  (Präsens) bzw.  - e n  (Präteritum) in den verbalen Formen der westnd. Dialekte" (ELSPASS/DENKLER 2003, 146) wird im vorliegenden Text als Hyperkorrektion evident: 'das Ihr andern noch alle Gesund sind freut mich' (Direktanzeige des Einheitsplurals wäre für die 2. Pers. Pl. Ind. Präs. von 'sein' die Form seid, wodurch Einheitsplural -et und Norm zusammenfielen). Zwei Belege für den schwankenden Gebrauch <g> vs. <ch> liefert der Text mit der Form nämlichgen sowie Herzlige (hyperkorrekt). Eine Konstruktion aus Dativ und Possessivpronomen statt eines Genitivattributs "ist nur insofern für den Norden spezifisch, als bei solchen Verbindungen mit Eigennamen diese i. d. R. ohne Artikel stehen" (ELSPASS/DENKLER 2003, 148). Eine derart norddt. geprägte Konstruktion ist im Text vertreten durch das Syntagma 'H Jacobs seine Söhne' (2-mal).

"Dialektal bedingt sind auch umgangssprachliche Abweichungen vom Standard im Bereich der substantivischen  G e n e r a ." (ELSPASS/DENKLER 2003, 148)

Das Syntagma 'Er hat noch keinen Antwort erhalten' wäre hierfür ein Beleg. Eine Vertauschung der (Hilfs)verben 'sein' vs. 'haben' bietet das Syntagma 'ich habe bei Euch gewesen'.

Petersburg den 20 ten [D]ecember. 1857.
Geliebte Eltern Bruder Schwager und Schwestern.
Euer Brief den Ihr den 19 ten April an mich geschrieben habt,
habe ich richtig erhalten, und daraus gesehen, das Ihr noch alle
munter und gesund sind, was mich Herzlich freut.
Ich bin Gott sei dank noch immer recht munter und gesund
gewesen, und hoffe das Ihr diesen Brief mit Gesundheit wieder
empfangen mögen, ich bin zeit der zeit noch immer nahe
bei meine Schwester gewesen, und habe vorgangenen Sommer
15 Dollar verdient das Monnat, und bin den 20 ten October
nach Petersburg gereist. 120 Meilen von St Louis, ich bin
bei ein englischen Bauer. Heinrich Beckmann von Wiesedemehr
ist bei mir, und ist recht munter, wenn Ihr gelegenheit habt so
grüßet seine Eltern von Ihm, ich verdiene das Monat 18 Dollar.
Als ich von meine Schwester Trienke weggereist bin, war Heinrich
noch nicht wieder da, nach sein Schreiben wird er vielleicht schon
da sein, ich habe noch keinen Brief von Sie erhalten, und habe
mit mein Schreiben so lange gewartet, das ich dachte Heinrich
solte erst wieder dasein, Schwester Trienke ist noch immer recht
Gesund gewesen, und mangelt an nigs, leider sie diesen
[Som]mer hatte Ihren Sohn Johann die Mesel und den
Durchfall so schlim, das keine Rath mehr m[ö]glich wahr, wier haben
alle Mittel angewendet, es war leider alles umsonst, Ihnke
und Gerd sind noch recht munter, Ihnke verdient das Monat
12 Dollar, und spricht gut englischs. Geliebte Eltern ich habe
aus Euren Brief gelesen, das Ihr mich gerne in Wiesede
wieder haben möchten, und als ich auch versprochen habe, ich
sehe lieber das Ihr zu mier kommen teten, den ich habe keinen
großen Lust in Deutschland zu sein, wen Ihr lust haben zu
mier zukommen, und es verlangt, von mir, das ich Euch
abholen soll, das thu ich gerne. Ihr müßt es Euch nicht
vorstellen das es so stark bevölkert ist als in Wiesede, hier
kan man bisweilen wohl ein viertel oder halbe Stunde

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laufen, das man ein Haus antriefft, in das Land, es giebt
darum auch Städte genug wo viele Menschen darin sind.
Häuser sind hier im Lande nicht groß, aber das gebrauchen
sie auch nicht, weil h[ie]r das Vieh im Winter sowohl als
im Sommer drausen geht. Das Land ist hier sehr gut, es
braucht man nicht zu Düngern, wen es nur gepflügt wird,
wächt alles darin was gesähet oder gepflanzt wird,
Abgaben braucht man hier nicht viel bezahlen.
Viele Herzliche Grüße von Albert Hillers und seine
Vamili, das sie noch alle munter und Gesund sind, ich
bin 5 Meilen von Ihr, und besuche Sie zuweilen des
Sonntags. Schreibet mir sobald als möglich ist wieder.
Viele Herzliche Grüße an Euch, und die nach mich

fragen. Euer Gehorsamer Sohn.
   
  Ihnke Kleihauer

Zunächst die Belege falschen Genusgebrauchs: 'das Monnat', 'das Monat' (2-mal), 'ich habe keinen großen Lust'. Auffallend häufig macht sich der westnd. verbale Einheitsplural bemerkbar, durchweg als Hyperkorrektion: 'das Ihr noch alle munter und gesund sind', 'das Ihr diesen Brief mit Gesundheit wieder empfangen mögen', 'das Ihr mich gerne in Wiesede wieder haben möchten', 'das Ihr zu mier kommen teten', 'wen Ihr lust haben'. Als Präteritopräsens hat die Form mögen Bezug zur Vergangenheit, möchten noch eher durch den Konjunktiv II, was auch für die Form teten gilt. In diesen Fällen könnte die Vermeidung des Einheitsplurals -et durch seinen Bezug zur Gegenwart erklärt werden. Allerdings können diese Formen auch durch das ostfriesische Niederdeutsch motiviert sein, das im Präsens den Einheitsplural -en (!) aufweist. Eine Besonderheit der Getrenntstellung von Pronominaladverbien bietet diese Stelle: 'es giebt darum auch Städte genug wo viele Menschen darin sind'.

"Grundsätzlich ist die Getrenntstellung allerdings keine Eigenheit der nordwestdt. Dialekte und Umgangssprachen; sie gilt vielmehr für den Norden allgemein ... Karten deuten ... die Verbreitung einer Spielart mit Verdoppelung bzw. Wiederaufnahme des adverbiellen Elements an (da find ich nichts dabei) ... Im Norden tritt diese Variante ... überwiegend auf, wenn der präpositionale Teil vokalisch anlautet; i. d. R. wird der Vokal des adverbiellen Teils dabei apokopiert ...: Da wurde gar nicht drauf geachtet ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 155)

Im Beispiel begegnet in der Wiederaufnahme 'darin' als adverbielles Element 'da' statt 'wo'. Ungewöhnlich ist, dass der Vokal des adverbiellen Elementes nicht getilgt wurde, obwohl das präpositionale Element mit einem Vokal beginnt.

Petersburg den 27 ten Februar. 1858.
Inniegst geliebte Eltern Bruder Schwager und
Schwestern, eine frohe nachricht ist es welches ich
Euch mit zutheilen ha[b]e, in meinen letzten Brief
konte ich Euch keine nachricht geben, ob unsere
[Sc]hwager Heinrich da wahr oder nicht. Er ist im
December Gesund und Munter wieder angelant,
sie sind beide bei mier gewesen, Er wahr des
Abens in das Haus, wo ich diente, als ich herrein
kahm, setzte ich mich bei das Feuer, woh Er Saß
die Frauh ins Haus fragte mich, ob ich ihm nicht
kennen täte, ich sagte nein, Er sieht aber grade
aus als mein Schwager der in Calivanien ist,
da stand Er auf und reichte mier die Hand, und
sagte Ich bins, Trienke wahr unter der zeit
[b]ei Heinrich Rahmann und Johann Ritter=
buchs, welche zusammen in ein Haus wohnen,
und sind alle recht munter, von da sind wier
nach Albert und Hinrich Hillers gegangen,
welche wier noch alle Gesund angetroffen haben,
3 bis 4 Tage sind sie bei Alber gewesen, von da

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sind sie wieder nach St Louis zurück, sie
habe versprochen wieder zu uns zukommen.
Alber und Michel haben sich ein Varm
gerentet, 80 Acker Groß, sie habe es für den
Dit Dritten Theil gerentet, sie haben sich
2 Pferde 1 Joch Ocksen 3 Kühe und 28 Stück
Schweine gekauft. Geliebte Eltern, in mein[en]
letzte Brief habe ich Geschrieben, ich täte lieber
sehen das Ihr zümier kommen täten, darum
muß ein ieder es doch selbst wissen, ich wiel
keinner nötigen, weil es schon mehr mahlen
pasiert ist, das eine den andern genötiget hat
zukommen, und [e]s nicht gleich in ein Schönes
Haus ziehen können, so als sies verlassen habe,
und dazu zuweilen ein oder ander auch noch
Krank wierd, gefelts Ihnen nicht, und Ver=
fluchen dieienigen die Ihr Geschrieben habt,
und das verlange ich von keinner, darum will
ich niemant davon abraten zukommen, weil es
für meinen theil doch weit besser ist als
in Deutschland. Geliebte Elter ich habe schon
aus Euren Brief gesehen, das ich wieder kommen

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soll, und weil es mier hier besser gefelt
als da, täte ich hier lieber Bleiben, es soll
darum doch mit Eure wille sein, und möchte
gerne einen reinen ausschlus wissen, ob Ihr
mich entbehren können oder nicht, hier mit will
ich schließen, bald hätte ich vergessen Euch zu
[m]elden, das Johann u Maria einen kleine Tochter
über gewunden haben. Hinrich u Anna gleich=
fals einen kleinen Sohn, sie sind alle recht Gesund
und lassen Ihre Eltern und Verdanten Herzlich
Grüßen Gerd u Gehrit Keers haben sich
Land angenommen, ieder 160 Acker in Neubrasko,
sie lassen Ihre drei Jüngste Brüder und Schwester
Grüßen, Päbe Jacobs Päben ist verheiratet mit
Hinrich J Bohlken seine Tochter. Gesche
Magaretha, und sind recht munter, und lassen Ih[re]
[El]tern Herzlich Grüßen. Schreibet mier sobald
als moglich ist wieder.
Wie[r] Ich lasse Euch recht von Herzen grüßen und
wünschen Een Gottes Segen.

  Euer Sohn.
   
  Ihnke Kleihauer.

Eine Konstruktion aus Dativ und Possessivpronomen findet sich statt eines Genitivattributs im Syntagma 'Hinrich J Bohlken seine Tochter'. In der Kurrentschrift sind die phänotypischen Unterschiede der Kleinbuchstaben Kurrentschrift e vs. Kurrentschrift n (e vs. n) kaum ausgeprägt, wodurch eine Verwechslung dieser Buchstaben bei der Interpretation der Autographen nicht immer ausgeschlossen werden kann, zumal die Individualhandschriften häufig Abweichungen von den Schrift-Richtformen aufweisen, bei Flüchtigkeit vor allem an den Wortenden. Nicht eindeutig kann im vorliegenden Text entschieden werden, ob die Formen unsere im Syntagma 'ob unsere Schwager Heinrich da wahr' und habe in Verbindung mit der pronominalen Form 3. Pers. Nom. Pl. sie in den Syntagmen 'sie habe versprochen', 'sie habe es für den Dritten Theil gerentet', 'so als sies verlassen habe' sowie letzte in 'in meinen letzte Brief' tatsächlich auf e enden oder aber auf n.

Calumbi, den 1 ten December 1858.
Geliebte Eltern Bruder Schwager und Schwestern.
Euer Brief vom 8 März 1858 habe ich am 21 November
empfangen. Er ist also ziemlich lange unterwegs gewesen,
und das kommt davon, wo ich den Brief ... ein=
sante, in Apriel wech gereicst bien, nach Neubrasco, das
siend 100 Meilen, von da habe ich zurück Geschriebe an
mein Schwagern und Schwestern, wen sie einen Brief erhalten
täten, solten sie zumier schicken, ich habe mehr mahlen
Geschrieben, aber keine antwort erhalten, den sie haben
meine Briefe nicht empfangen, und sie wusten den Adres
nicht, das sie an mier Schreiben konten, im September
bin ich wieder zurück, nach Calumbi, wo ich die erste
2½ Jahr gewesen bien, weil ich dort noch Geschäfte hatte,
von da habe ich einen zu Ihr geschicke, da habe ich Ant=
wort und auch Euren Brief empfangen, und daraus
Gesehen, das Ihr von Herzen wünschen, das ich wieder
zu Euch zurück Reise, so wiell ich um Eurent wiellen,
da Ihr schon so manchen sauren Schriet für uns
Kinder gethan habt, wieder kommen, und helfen so
gut als es geht, wenn der Liebe Gott mier Gesund=
heit schenken wierd, und mier auf meine Reise
Begleitet, das ich sie volführen kann, diesen Winter
kann ich nicht mehr, kommen, weil ich Euer Brief
zu späth erhalten habe, und meine sachen nicht im
stande habe, geleich fort zureisen, ich werde sobald
als möglich ist kommen, vieleicht im Juni oder Juli,
ich kann grade den tach nicht bestiemmen, wenn Euch
Euer Arbeit zuschwer fehlt, so nehmt einen
Arbeiter für mich in meiner stelle, wenn ich glück=
lich über kommen mach, so werde ich vieleicht soviel
miet briengen, das wier ihm bezahlen können, weil
es jetzt schon ziemlich späth ist, kann ich niche gut
eher kommen, meine Schwagern haben sich einen

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zusammen 180 Acker Land gerentet, und sie sind
als ich nicht besser weiß, alle recht munter, bloß Albert
u Thalke Maria Ihren jüngsten Sohn, ist den letzten
Sommer Gestorben. Hiermit muß ich schließen.
Bald hätte ich vergessen, Euch zu melden, das ich Gott sei
dank, noch immer recht munter u Gesund gewesen bien, was
ich auch von Euch hoffe.
Viele Herzliche Grüße an Euch u die nach mich fragen.

  Euer Sohn
   
  Ihnke Kleihauer

Die <g>-<ch>-Vertauschung in den Formen wech, tach, mach beruht auf der Spirantisierung plosiver Konsonanten im Auslaut. Interessant ist die Verwendung der Form mach anstelle eines Hilfsverbs im Syntagma 'wenn ich glücklich über kommen mach', wodurch das Modalverb 'mögen' einen zeitlichen Bezug erhält.

Calumbia den 5 ten Mai 1859.
Geliebte Eltern Bruder Schwager u Schwestern.
Denn Brief den ich zuletzt an Euch Geschrieben habe,
habe ich versprochen zu Euch zukommen im Juni o[d]er
Juli, und weil ich mich etwas Land gekauft hätte, was
Ihr vieleicht wohl wißt, und hatte keine gelegenheit
wenn ich es nicht mit Saden verkaufen wolte, als jetzt
habe ich es verkauft, aber ich muß noch zwei Monat
[w]arten das ich das Geld kriegen kann, darum kann ich
nicht um die zeit kommen die ich versprochen habe, eienst
habe ich Euch noch zu fragen, weil ich gehört habe das Sie
in Deutschland wieder anfangen zu Kriegen? wen das der
fahl sein sollte, dan wehr es vieleicht doch nicht gut das
ich kommen täte? und zweitens wenn ich mich alles recht
nachdenke, wie es dort ist, das man das ganze Jahr
Arbeitet und dan noch die hälfte was man verdient,
an die Oberrichkeit bezahlen muß, u drittens wen einer
erst länger in Amerika ist, der gefelt auch die Arbeit
nicht, überhaubt die Lan[d]bau ist viel beschwerliger
zu bearbeiten als hir, wenn hir das Land gebaut
wird, kann man einige Früchte Sähen und Pflanzen,
und überhaubt [d]as Essen und Trinken, kann man hir
viel besser haben als dort, das ist noch die haubt sacht
was der Mensch haben kann, wenn Ihr Euch entschließen
können, mier nach zukommen, das währe mier viel lieber.
Gesundheit kann ich Euch nicht versprechen, das es aber
ungesund ist, kann ich nicht über klagen, ich bin in 2½
Jahr nicht mehr krank gewesen, und im überrichen
können wir hir besser Leben als dort, wenn Ihr lust haben

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hir her zukommen, und es von mier verlangt Euch abzu=
holen, so bin ich einige zeit bereit dazu, ich will Euch
helfen so lang ich Lebe, und so viel als in meiner kraft
steht, und wenn es wirklich nicht besser sein solte für
Euch Geliebte Eltern, dan ist es noch besser für uns
Kinder, und wenn ich auch zu Euch zurückreise, und es
täte mir gahr nicht gefallen, was ich mir schon halber
denken kann, und mußte wieder nach Amerika Reisen,
da konte ich mein Geld verreisen was ich sauer ve[r]
dient habe, und wahr verflichtet wieder von neuen
anzufangen. Denket Euch mahl darüber na[ch] was ich
geschrieben habe, ich sage noch ein mahl, ich [werde] Euch gerne
so viel als in meine kraft [steht] in Eure [Alter] un[ter]=
stützen, Hier mit wiel ich schließen, und [hoffe] das
Euch diesen Brief in guter Gesundheit antreffen wiert,
ich bien Gott sei dank noch immer recht munter u
Gesund gewesen. Den letzten Brief den ich von meine
Schwagern habe, ist 6 Monat verflossen als ich nicht
besser weiß, siend Sie noch alle Munter, ab[er] Albert
u Tal[ke] Maria Ihren jüngsten Sohn ist den le[tz]ten
Sommer Gestorben. Hinrich Boÿen mit sein Vamili und
Renke Renken mit sein Vamili sind noch alle
munter und lassen Euch vielmahls Herzlich Grüßen.
Viele Herzliche Grüße an Euch und meine
Verwanten.

  Euer Sohn
  Ihnke Kleihauer

Schreibet mier sobald als möglich ist wieder.

"Auffälligkeiten zeigen sich ... bei den graphischen Repräsentationen des  p o s t a l v e o l a r e n   R e i b e l a u t s   [ sch ]  ... Vor Konsonanten wurde in der älteren Umgangssprache wie in den Dialekten i. d. R. [s] gesprochen ... s-Schreibungen ... in weiteren Positionen ... [deuten] auf eine allgemeine Unsicherheit in der Unterscheidung von [sch] und [s] ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 144)

Im vorliegenden Text wäre hierfür ein Beleg vorhanden: Saden.

"Typisch für norddt. Umgangssprachen ist ... die  f r i k a t i v i s c h e   A u s s p r a c h e   v o n   [ p f ]  ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 143)

Hierfür ist im Text ebenfalls ein Beleg: verflichtet.

Petersburg den 6 ten September. 1859.
Geliebte Eltern Bruder Schwagern u Schwestern!
Euer letzten Brief vom 28 ten Juli habe ich den
28 ten August richtig erhalten, u daraus gesehen
das Ihr noch alle munter sind, als das Ihr ein
schliemm Hand gehabt habt, u die Finger nament=
lich der dritte steif geblieben ist, u mit der Arbeit
nicht mer so gut geht als bevor, darum wünschet
Ihr so bald als möglich zu Euch zukommen, wen
ich den Brief 14 Tage eher empfangen hätte, währe
ich vieleicht diesen Herbst gekommen, weil ich mich
jetzt ein Pferd für 150 Dollar in dasienige Lan[d],
was ich verkauft habe so zusagen nehmen mußte,
u ich auch halb im sinn hatte den künftigen
Frühiahr mich Land zu Renten, konte ich das Pferd
auch wohl gebrauchen, u weil die Pferde im Herbst
nicht so gut zu verkaufen sind, kann ich diesen
Herbst nicht kommen, wen der Liebe Gott mir Leben
u Gesundheit schenken wird, werde ich den
künftigen Frühiahr im Apriel oder Mai kommen,
weil das wort muß ein geschwungenes wort
ist, u ein Kind seine Eltern gehorsam sein muß,
das Bruder Gerd die Übrige Arbeit was nicht
mit Pferde gethan werden kann, unmöglich zuthun
ist, ist mier wohl bekant. Ihr glaubt das ich mich
nicht zu fürchten habe vor den Krieg, was auch
schon sehr gut ist, u im Übrigen es mir vieleicht

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wohl nicht so schlecht gefält, wenn es durch die
Theilung der Gemeindeweide besser geworden ist,
hoffe ich das es mir nicht so gans schlecht
gefallen wird, wen es aber noch so ist als es früher
wahr, dan gefelt es mir hier doch besser, wenn Ihr
aber jeden Tag Weißbrod u Braten auf dem Tiesch,
u ein Faß Bier ins Haus habt, dan wird es mier
dort auch wohl gut gefallen, u wenn Ihr s auch nicht
so habt, will ich wenn ich Gesund bleibe doch kommen,
u helfen so viel als in meiner kraft steht.
Ferner will ich Euch genachrichtigen das unser Unke[l]
Gellermann seine Tochter Maria den 3 ten September
Gestorben ist, u das nachgelassenne Kind hat meine
Schwester Trienke zu Sich genommen, ich u meine
Schwagern u Schwestern mit Ihre Kindern sind noch
alle recht munter, dasselbe ist Hinrich u Anna.
u Michel Hillers. Albert Ziemers mit seine
Frau u Kind. Heinrich Rahmann u seind Frau
Catarina. Theite Maria u Ihre Tochter Catarina! u
Albert von Hagel mit seine Frau u Kinder u
Hermann Harms. Johann H. Hespen u
Hinrich E. Behrends hat mich für Monat einen
Brief Geschrieben u dar aus gesehen das Er noch
recht munter u Gesund ist Mündlich habe ich
Ihn noch nicht gesprochen. Hiermit will ich schlie=
ßen bald hätte ich noch vergessen, das Schwester
Trienke zu mir gesagt hat, wenn sie das Schreiben
so gut gelernt hätte, als unsere Schwager Behrends,
dan hätte sie vieleicht zwei Bücher voll Geschrieben,

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weil es aber Ihre Äge u Pflug nicht ist, hat sie
es mit so wenigen Wörter Geschrieben als mög=
lich wahr wen es aber Mündlich geht dan steht
sie noch vorn in die Reihe. Hiernit will ich Schlie
ßen. Viele Herzlige Grüße an Euch.

  Euer Sohn.
   
  Ihnke Kleihauer.

Schreibet sobald als möglich ist wieder.
[S]chreibet [d]en Brief an Hr. Rahmann.

Fehlende ahd. Lautverschiebung t > z motiviert die Falschschreibung geschwungenes als missglückten Versuch des niederdt. Sprechers, den hd. Lautstand orthographisch korrekt darzustellen (vgl. WEBER 1995, 268 - 269, der hierfür die Beispiele dahschwischen und Verschweivelung anführt).

St Louis den 10 Apriel. 1860.
Inniegse Geliebte Eltern Bruder Schwager u
Schwestern, Euer Brief vom 23 November 1859 habe
ich den 23 December richtig erhalten, und daraus
gesehen, das Ihr noch alle munter sind, was mich
Herzlich freut, ich bin Gott sei dank auch noch recht
munter. In meinen vorigen Briefe habe ich Euch
kund gethan, diesen Frühiahr in Apriel oder
Mei zu Euch zu kommen, und wie Ihr wohl wiß[t],
habe ich ein Pferd in das Land was ich verkauft
habe, angenommen, und weil hier ziemlich viel
Pferde sind, und alle ein kredit verkaufen, konte
ich es nicht für bar Geld verkaufen, jetzt habe
ich es auf 6 Monat krediet verkauft, darum
kan ich diesen Frühiahr nicht kommen, ich hoffe
das ich die zeit den künftigen Herbst nich wieder
[v]ersetzen brauche, Ihr müßt bald zweifeln an
mein wieder kommen, weil die zeit vom Herbst,
bis Frühiahr, und vom Frühiahr, bis zum Herbs[t]
versetzt wird, zweifelt nur nicht daran, ich konte
nicht kommen, wen ich auch fest entschlossen
wahr zu Euch zu kommen, das heißt wenn
ich das bischen Geld was ich in Amerika
verdient habe, nicht zurück lassen wolte,
ich hoff das ich meine Sachen diesen Sommer
im Stande kriege kann, und den künftigen
Herbst zu Euch zurück Reise, wen der

[neue Seite]

liebe Gott mir Leben und gesundheit Schenken
wierd, und mier zu meine Reise behülflich sein
wiel. H. Hillers u sein Frau Anna, haben
mit mir gesprochen über 100 oder 200 Thaler
Geld, so als sie mier Gesagt habe, hat Anna
Mutter, Ihr noch etwgs zu gesagt, Hinrich
u Anna habe Ihre Mutte wegen das Geld
einen Brief geschrieben, ob Sie nicht so güt
sein wolte 100 oder 200 Thaler zu geben,
weil sich die Schöne gelegenheit einfindet, das ich
den künftigen Herbst zu Euch zurück reise, kann
ich Ihr das Geld was die Mutter I[hr] geben
will, hier ausbezahlen, und Sie kann mier das
Geld dort wieder ausbezahlen, wen Sie Ihr etwas
geben wiel, dan ist es bald zeit, das Sie mier
genau nachricht darüber geben, dan wiel ich Ihr
das Geld hier in Amerika ausbezahlen, so viel
als Sie Ihr geben wiel. Geliebte Vater u Mutter,
wen mein Tante Gretha Gerrieths Ihre Tochte[r]
Anna u Ihren Schwieger Sohn H. Hillers etwas
geben wiel so seit Ihr so gut, und nemet einen
richtigen Schein davon, so das ich das Geld,
was ich an Ihr ausbezahle, von meine
Tante Gr. Gerrieths wieder fordern kann.
Meine Schwagern und Schwestern mit Ihre Vamilie
sind noch alle recht munter und lassen Euch viel mals
Grüßen. ich hoff das Euch diesen Brief in guter
Guter Gesundheit antreffen wierd, ich Arbeite
jetzt in St Louis

[neue Seite]

Viele Herzliche Grüße an Euch

  Euer Sohn
   
  Adre[s] Ihnke Kleihauer.
  St Louis
  Misuri

Schreibet mier so bald als möglich ist wieder.

Im Gegensatz zu geschwungenes zeigen die Formen zweifeln und zweifelt, dass der niederdt. Sprecher die komplizierte Lautfolge [tsv] durchaus zu meistern imstande ist. Falsche Rundung als Hyperkorrektion motiviert die Form behülflich.

"Typisch für norddt. Umgangssprachen ist der  A u s f a l l   v o n   f i n a l e n   D e n t a l e n , v. a. nach Reibelaut." (ELSPASS/DENKLER 2003, 145)

Hierfür ist der Beleg im Text die Form nich.

Petersburg den 27 ten Novem[b]er. 1860.
Geliebte Eltern Bruder Schwager
u Schwestern, ich habe Euch diesen
Frühiahr den 11 ten Apriel einen Brief
[Ge]schrieben, und noch keine Antwort
wieder erhalten, jetzt bin ich wieder
in die Nähe wo unsere Schwagern u
Schwestern Wohnen, u weil Sie auch
keinen Brief von Euch erhalten haben,
neme ich die Fäder zu der Hand, um
Euch zu benachrichtigen, wie es uns
hier noch geht, wier sind noch alle recht
munter u ge[s]un[d], als blos ich bien
diesen [H]erbst um die Zeit als ich
Reisen müßte ein Monat Kran[k]
gewesen, das hat mich ziemlich in die
zeit zurück gesetzt, u weil ich meine
Sachen noch nicht gans im stande
habe, wierd es mier diesen Herbst zu
späht zu Euch zu kommen, und wenn
ich mich recht nachdenke, wie es sich

[neue Seite]

da befindet 1. Als Essen u Trinken,
glauben ich das einer die Speise dort
nicht vertragen kann, u 2 ist die
Arbeit viel schwerer, u doch nicht viel
briengt, u 3 muß man soviel an
die O[br]ichkeit bezahlen, das wenn
das Jahr [h]errum ist, noch nich[ts]
von seine schwere Arbeit über hat,
und zuweilen noch nicht soviel hat
das man bezahlen kann was man
schuldig ist, u dorum gefelt es mier
nicht, u weil Ihr noch vier Kinder
dort habt, sind Ihr doch wohl nicht
verlange das ich zu Euch zurück
kommen soll, weil ich doch keine
lust hab da zu bleiben, u wa[s]
nüßt es das ic[h] hien und hehrr Reise
u verreise mein Geld, so gerne als ich
Euch mit unter schü stütze täte, aber
ich kann es da nic[ht], u ich hoffe das
Ihr mier erlau[b]niß geben hier zu
bleiben, weil ich einsehe das ich mein
Leben hier viel besser machen kann als

[neue Seite]

da, und ich möchte gerne einen reinen aus=
schluß habe, weil ich einsehe das ich soviel
Geld habe für mich selbst anzufangen.
Die Ernte ist hier in dieser Gegend sehr
gut geraten, so das Schweine genug fät
gemacht werden können, u wenn die
g[e]legenheit so gut wehre als nicht
täten meine Schwagern Euch 2 oder 3
stäck fätte Schweine Schicken, die das
stück 2 bis 300 ... wiegen, aber es wierd
vieleicht wohl nicht gehen, weil es etwas
zu beschwerlich ist, Schwager Heinrich
hat dies Jahr 36 stück fätte Schweine
zu verkaufen, u wenn Ihr alle hier
währen, haben Sie noch Speck genug für
Euc[h] zu Essen. Ich bien den letzten
[S]ommer mehr mahlen bei Clas Doren
u sein Frau gewesen, sie sind noch alle
recht munter, u läßt sein Mutter Schwager u
Schwiegerin mit Ihre Kinder vielmals
Grüßen, u sie möchten so gut sein
u schreiben einmal einen Brief zurück,
[G]rüßet H C Behrends von mier,

[neue Seite]

wen Er da ist, Hiermit wiel ich
schließen, Schreibet mier sobald als
möglich ist wieder u säumet nicht
damit, wier lassen Euch alle vielmals
Herzlich Grüßen.

  Euer Sohn
 
  Ihnke Kleihauer.
  Mr. Heinrich Rahmann.
  Adres Petersburg Menard.
 
  Co State of Ill.
 
  North America.

"Die Affrikaten [pf] und [ts] fehlen allgemein in den niederdeutschen Dialekten ... [ts] [wird] in den heutigen nordwestdeutschen Umgangssprachen selten durch Frikativ ersetzt." (ELSPASS/DENKLER 2003, 143)

Dies betrifft die Form 'nüßt' im Syntagma 'was nüßt es das ich hien und herr Reise'.

Tallula den 21 ten September. 1861.
Geliebte Mutter Bruder Schwagern u Schwestern.
Euer Brief vom 29. ten Juli 1861. habe ich den 2 ten Septem=
ber erhalten, u daraus gesehen [das] Ihr meine beiden
Brife richtig erhalten habt, ich dachte da[s] Ihr sogar
alle Tod wahren, oder das wier es nicht wehrt wa[h]ren [u]n[s]
eine antwort zu geben, weil Ihr aber einen Brie[f] geschriben
habt, ist Euch keine schuld zu geben. Ferner habe ich au[s]
Euren Brief gesehen, das manche Ver[a]nr[u]ngen vor[g]e=
fallen sind, nemlich das unser geliebten Vater ver[st]orben
[i]st, ich mochte gern wissen wie alt u wa[s] für datum
unser Vater verschied, das Schwester Meta sich verhei=
rathet hat, u Schwester Catharina [a]uc[h] Hochzeit geben
[w]ird oder gegeben hat, mit August Wilken, habe
ich aus Euer Brief gesehen, das ist doch Friderich
Wilken sein Sohn von Wiesedefähn? es ist grade al[s]
wen wier damit nicht zugehören, weil wier garnicht ein=
geladen sind auf die Hochzeiten, ich hätte gern als
Breutigams= Knecht bei Euch gestanden, u 5 Dollar
[h]ätten nicht gefählt auf den Bräutigams= Hut,
es macht aber keinen großen unterschied, weil ich noch
nicht verheirathet bin, und mir vieleicht noch ein im Arm
laufen kann, dan wird es grad wieder so gemacht.
Albert Hillers u Talke Maria haben den 20 ten Augus[t]
eine Tochter zusammen über gewonnen, im übrigen sind Sie
noch alle munter als, Sie hat wehe Brüste, u[n]se[rn]
Michel Hillers u Seine Frau haben kürzlich einen Sohn
zusammen übergewonnen. Albert Siemers un[d] [S]eine
Vamilie sind auch noch recht munter, Siemers hat Sich
2 Pferde gekauft, u denckt für Sich sel[b]st zu var=
mern, Heinrich Rahmann u Seine Frau u Kind, u Seine
Mutter Teite Maria, u Albert von Hagel u Seine
Vamilie, sind noch alle munter. Gerriet Weers ist hier

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auf besuch gewesen von Neubraska, was ungefehr 700
Meilen von uns entfernd ist, auf Seine reise hat Er
auch Hinrich E Behrends u Seine Frau u Kind
angetroffen, die Sind hier glücklich wieder angelandet,
Er ist von Neu[or]lians wieder zurück gereist nach
[N]euiork, weil Er die Missisippi nicht herauf
konte, und ist 80 Meilen von uns entfernt, so
wie Gerriet hir gesagt hat, sein Bruder Gerd
u Johann Diercks mit Seine Vamili die sich
jetzt in Neubraska befinden, sind auch noch
recht munter, Clas Doren und Seine Vamil[i]
wahren auch noch recht munter, den letzten Sommer,
1860 in St Louis, weil ich nahe bei Ihn gearbeitet
hab, bin ich oft des Sontags zu Ihn gegangen,
Er hatte 10 bis 12 Kühe wo Er die Milg von
verkaufte, 1 Pferd und Spring= Wagen, Seine
Kinder besitzsen gute Schuhlkentnise in Deutsch
u Englichs, was hir sehr f viel wert ist.
Heinrich u Trienke sind vor 14 Tage nach Gerd
Alfs u Seine Frau u Kinder auf besuch gewesen, u
sind noch alle munter, die sind 40 Meilen von uns
entfernt, ich bin jetzt bei Schwager Heinrich
Ihnke ist so groß wie ich, und mit Gerd wird es
auch nicht lange dauhern, ich bin noch 2 zol in
Amerika größer geworden, u dabei auch so zienlich
dick u stark, ich glaube wen ich noch wieder bei
Schwager Behrends in die Schule gehen täte, dan
währe ich vieleicht sein meister im prügeln, weil hier
die [S]chläge anders ausgetheil werden, als bei Euch,
unser Arbeit ist varmerrei, wier haben 150. Acker
mit Korn wovon mir 40 gehören, 10 Acker Weizen, 20 Acker
Hafer, wovon mir 4 gehö[re]n, 10 Acker Heuland. 6 Pferde und
ein Füllen wovon 2 mein sind u das Füllen, 20 Stück Rind=

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vieh, 160 Stück Schweine, wovon 60 mein sind, 12 Stück
Schafe u die Hühner sind kaum zu zählen, u 100 Acker
wo sich die Pferde Rinder Schweine Schafe u Hühner
Weiden können. Mit den Krieg siehts hier nicht
vom besten aus, so wie die es in die st zeitung steht,
sind schon 200.000 Mann in Wassingtan unter
Gewehr u Waffen vom Norden, und wieviel Süde[r]s
kann ich nicht sagen, ich glaube aber doch, das Norden,
Süden gewa[c]hsen ist, hier im Norden wierd keiner geschwun[=]
gen weil sie genug freiwiellig kriegen können, u brau=
c[he]n noch kein gefahr zu haben, das wir hinters
Kalbfell her marschiren müssen. u Schwager Albert
hat keinen großen lusten General zu sein, weil Er nicht
Englichs kommodiren kann, die Ernte ist dies Jahr
in dieser gegend sehr gut geraten, auf viel plaßtze
ist das Korn nur so ziemlich, weil es etwas zuviel
getrocknet hat, doch haben wier grade in die rechte zeit
1 gutes Gewitter= Schauer bekommen, so daß das Korn
hier vortreflich geraten ist, die Früchte hat hir jetzt
alle einen nidrigen preis, weil alles auf geblockt ist wegen
[d]en Krieg, das Korn kostet 10 bis 15 Cent das Busel,
Weizen 70 bis 75. Kartoffeln 30. Zwibeln 50. Haber
15. Lebendige Schweine bei das pfund 2½ Cent.
Hiermit muß ich schließen, eins hätte ich noch bald vergessen,
ich mochte gerne wissen wie Meta Ihr Mann Sein Name ist,
und wo Sie wohnen, u Schwager Behren[d]s mach so gut
sein, und schreiben ein mal etwas von Seine Eltern Brüder
u Schwestern wie es Ihr noch alle geht. Ich täte Euch alle
noch gern einmal besuchen, wen ich nur das Geld entberen
konte was es kostet, so der Liebe Gott mier Gesundheit
scheckt, u meine arbeit Segnen wierd, so nöchte es vieleicht
noch der fall sein, das ich Euch besuche wier sind Gott sei
dank noch alle recht munter u Gesund u dasselbe hoffe

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ich auch von Euch. Viele Herzliche grüße an Euch
alle. Schreibet mier so bald als moglich ist wieder.

  Euer Sohn.
  Ihnke Kleihauer.

Norddeutschen s-Plural bietet die Form Süders. Die Formen varmern als Verb sowie varmerrei als Substantiv sind Amerikanismen. Ins Auge sticht die Form Milg, in der <g> hyperkorrekt <ch> ersetzt. In der Form Englichs (2-mal) wird der postalveolare Reibelaut [sch] durch die Lautfolge [çs] ersetzt, ein weiteres Indiz norddt. [sch]-[s]-Verwechslung (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 144). Flexionsmorphologisch interessant ist die fehlende grammatische Kongruenz von Subjekt und Prädikat in Bezug auf den Numerus im Syntagma 'die Früchte hat hir jetzt alle einen nidrigen preis', was durch den westnd. verbalen Einheitsplural -et (Präs.) erklärt werden könnte. In den Bereich der Lexik fällt als norddt. Regionalismus die Vertauschung der Präpositionen 'nach' vs. 'zu' sowie 'bei' vs. 'zu' (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 153), die sich im folgenden Syntagma gleichsam als doppelte Vertauschung zeigt: 'Heinrich u Trienke sind vor 14 Tage nach Gerd Alfs u Seine Frau u Kinder auf besuch gewesen'. Schöpferkraft, Phantasie und Bildhaftigkeit (PROTZE 2001) als Kennzeichen dialektaler Ausdrucksformen zeigt sich in diesen Syntagmen: 'ich hätte gern als Breutigams= Knecht bei Euch gestanden, u 5 Dollar hätten nicht gefählt auf den Bräutigams= Hut', 'weil ich noch nicht verheirathet bin, und mir vieleicht noch ein im Arm laufen kann', 'wen ich noch wieder bei Schwager Behrends in die Schule gehen täte, dan währe ich vieleicht sein meister im prügeln, weil hier die Schläge anders ausgetheil werden', '200.000 Mann in Wassingtan unter Gewehr u Waffen', 'das wir hinters Kalbfell her marschiren müssen', 'Schwager Albert hat keinen großen lusten General zu sein, weil Er nicht Englichs kommodiren kann'.

Febing, Nemaha Co. Nebr. North America, Juli 22, 1895.

  Meine liebe Schwester!

Gnade sei mit Euch und Fried[e]
von Gott dem Vater und unserm Herrn Jesum
Christum. Amen.
Es ist, liebe Schwester, schon lange her
daß ich mich im Geiste mit dir unterhalten ha
Schon oft nahm ich mir vor, an dich zu schreiben, aber
es blieb eben beim guten Vorsatz, welcher nicht
zur Ausführung gebracht wurde. Und da mir das
Schreiben selbst nicht ... [g]ut mehr zur Hand steht
so war auch dies ein Grun[d], welcher vom Schreiben
a[bhi]elt. Nun heute schreibe ich dir durch einen
guten Bekannten, wie du auch wohl an der Hand=
schrift sehen kannst. Mein Wunsch ist, daß dieser
Brief Euch Alle in gutem Wohlbefinden antrifft.
Bitte, sei so gut, und schreibe mir, wie es dir und
deiner lieben Familie geht! Wie geht es den
Kindern von Schwager Behrends?

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Die übrigen aus der [Fam]ilie solle[n] [j]a
gestorben sein, wie ich gelegentlich gehört h[abe].
Auch möchte ich noch gerne Etwas von den
Bekannten und Freunden aus Ostfriesland wisse[n]
Gestern waren es drei Jahre, daß ich ...
Witwe bin. Mein lieber Folkert starb plöt[z]
[li]ch und unerwartet. Seitdem wohne ich a[llei]n
in meinem Hause. Einsam bin ich freilich nicht,
denn der liebe Gott ist meine Zuversicht und
Stärke. Meinen Platz habe ich verpachtet an
Gerd Rahmann, einem Sohn von unserm Schwa[=]
[g]er Heinrich Rahmann. Für ihn ist ein Haus
in meiner unmittelbaren Nähe gebaut. Ich danke
dem lieben Vater im Himmel, daß er mich also mit ir=
dischen Gütern gesegnet hat, daß ich mein gutes
[A]uskommen habe. Wenn ich mich in meinen alten
Tagen noch mit Nahrungssorgen quälen [mü]ßte
wäre ja recht unangenehm. Ich habe reichlich
Nahrung und Kleidung und kann auch den Bedürf=
tigen helfen. Ich wünschte, du könntest mich ein
mal einen Besuch abstatten. In meinem Garten
giebts Bohnen, Erbsen, Kohl, Wurzeln, Äpfel,
[B]irnen, Kirschen, Pflaumen, Pfirsichen und Wein=

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trauben in Hülle und Fülle. Auch ist an Kar=
toffeln kein Mangel. Im vergangenen Jahre
hatten wir keine gute Ernte. In diesem Jahre
sind die Ernteaussichten im Allgemeinen recht
gut. Unser Bruder Ihnke ist mein Beistand.
Er wohnt nur eine Stunde Weges von mir. Auch
[diese]m lieben Bruder geht es recht gut. Er hat
eine ziemlich große Familie. Verschiedene von
seinen Kindern sind schon verheiratet. Unsere
Nichte Anna Gerjets mit ihrem Manne Garrelt
Wehmer und ihren Kindern wohnt bei Sterling.
Ihr geht es auch sehr gut. Sie ist mit irdischen
Gütern reichlich gesegnet, ihr Mann ist ein
guter Ehegatte und ihre Kinder sind gut geartet.
Dann und wann kommen wir zusammen; sie kom=
men zu mir oder ich reise zu ihnen. Unser
Sch[wa]ger Albert Hillers ist trotz seiner 77 Jahre
noch recht rüstig und munter. Nur kann er nicht
gut hören. Ihm und seinen Kindern geht es
sonst recht gut. Gerd Gerjets wohnt auch in
der Nähe von Sterling. Er heiratete vor meh=
reren Jahren eine aus Ostfriesland eingewanderte
Witwe mit vier Kindern.

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Wie geht es Gerd Geldermann? Ich habe ge=
hört, daß er sich zum zweiten Male ver=
heiratet habe. Bitte grüßet ihn von mir.
Nun, liebe Schwester, ich möchte dich un[d]
all die Lieben Freunde noch gern einmal
von Angesicht zu Angesicht sehen. Aber ein
Weg von mehreren tausend Meilen liegt z[wis]chen
uns. Die Mittel zur Bestreitung der Reisekosten
habe ich wohl, aber ich getraue mir doch nicht
die weite Reise zu machen. Sehen wir uns
denn hier nicht wieder, so doch hoffentlich droben
im Himmel.
Nochmals sei herzlich gegrüßt und geküßt
von

  Deiner
  Dich liebenden Schwester
  Meta Mannott g[e]b.
  Kleyhauer.
Adresse  
  Mrs. Meta Mannott
  Febing
  Nemaha Co. Nebraska
  North America

Außer einer einzigen Kasusverwechslung 'Akkusativ' vs. 'Dativ' ('Ich wünschte, du könntest mich ein mal einen Besuch abstatten') enthält dieser Text wohl keine Fehler.

Petersburg Menard Conty 7. November 1874

  Liebe Eltern

In diesen Augenblick nähme ich
die fäder zu der Hand um euch par
ze[i]hlen zu schreiben was mich anbetr[ifft]
bin ich noch jmer recht Gesund
was ich auch von euch gehört habe
von Tabias Bohns der ist hir
Sontag gewesen er u sein Vätter
u Albert Döring H Bademacher
ist bei sein Unkel Focke wie ich geh[ört]
habe ich gehe den ersten Sontag wohl
zu ihn herüber Harm ist noch auf
Soldkrick da bin ich noch vor 3 Wochen
... gewesen der ist auch noch gesund u
wohl Liebe Eltern Tabias erzählte
mir das ihr böse gewäsen sein das
ich nicht geschrieben habe über den Paß
ich meine ich habe das geschrieben aber
wen nicht so vergiebt es mir das hat
all sein Richtigkeit der hat W Herren
auch gleich besorgt die Umständen die

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Ihr davon gehabt haben wer ich all
wieder recht machen So wie ich gehör[t]
habe ist Schwest Lena auch ja wieder
nach Foßbarg es werde beser für
h die beide hir wen er nochmahl
Lust hir her krichgt so schreibt es
auch gleich wen ihr da was von hört
ich möchte gerne wissen ob ihr ihn das klein
Zettel auch besorgt habt u was er davon
gesagt hat Bruder Michgel hat mich
auch geschrieben das er wohl Lust hat hir
ein zu wandern wen ihr auch Lust
den könt ihr ja zusamen komen
wer sein Brod verdienen nuß u ist gesund
der kann es hir Reichliger haben als
bei euch und dabei kann sich hir besser
was ersparren Ich bin noch bei H Harms
in Arbeit und unsere Arbeit ist Korn
Gittern was recht nach unsern wünsche
aus felt sein früchte ist gut gerathten
v sonst auf viehle stellen haben sie
die erde auch nicht so wie sie wohl sein
könte es ist hir den den Letzten Somer
zu Trocken gewesen wir haben zu

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weihlen noch etwas Rägen gehab[t]
und den in viehle andern Staten so wie
sie hir Schreben in Narichten haben
sie viel Schaden gelitten von heuschreck[en]
Herman möchte gerne wissen er hat
diesen Somer ein klein Zettel an sein
V[a]tter in mein Brief gelägt ob ihr
ihn das wohl besorgt habt er weißt
gar nicht wie das kömt das er gar
kein Schreiben krigt von sein
Famili Herman u Frau u Kinder
sind noch Gesund und er läßt sein Famili
Herzlich Grüßen
für dis mahl will ich mit meinen
schreiben auf hören Und wünsche das
diesen Brief bei euch Gesund antr[ifft]
w[i]e er mich bei schreiben verläßt

  Es grüßt euch Herzlich
  Euren Dankbarren
  Sohn
  Johann Diedr Wilkens
Die Adresse wie jmer Schreibt doch gleich wieder
bloß hinter die Nam u viehl Neujkeiten
Nr 5  

Im Syntagma 'sein früchte ist gut gerathten' stimmen Subjekt und Prädikat/Finitum im Numerus nicht überein, im Syntagma 'er weißt' nicht in der Person. Dies wäre eine Folge des westnd. verbalen Einheitsplurals -et (Präs.), da beide Präsenzformen auf -t enden und vermutlich deshalb gewählt wurden. Im Text begegnet die Form Unkel:

"Die Schreibung Unkel ... für Onkel kann sowohl niederdeutsch als auch englisch beeinflußt sein ..." (WEBER 1995, 269)

Fehlende Senkung u > o wäre ein Kennzeichen nd. Einflusses.

"Zu den Modalpartikeln, die schon früh als typisch für norddt. Umgangssprachen beschrieben wurden, gehört v. a. all in der Bedeutung schon ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 154)

Dies wird im Syntagma 'das hat all sein Richtigkeit' sichtbar. Eine Vertauschung der (Hilfs)verben 'sein' vs. 'werden' bietet das Syntagma 'es werde beser'. Das Verb 'kriegen' in der Bedeutung von 'bekommen' zu verwenden ('wen er nochmahl Lust hir her krichgt') ist nicht standardsprachlich. Die für das Norddeutsche typische Vertauschung der Wörter 'denn' vs. 'dann' (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 152) ist im Text einmal belegt: 'wir haben zu weihlen noch etwas Rägen gehabt und den in viehle andern Staten haben sie viel Schaden gelitten von heuschrecken'. Das Konstrukt 'und denn'/"und den" könnte als Ellipse verstanden werden, z. B. für 'und dann möchte ich erzählen, dass ...'.

Menard Conti den 10 Dezemb 1874

  Liebe Eltern

Nach lange warten u Hoffen auf
ein Brief von euch was jmer vergebens
i[s]t nähme ich die fäder wieder zu der
Hand um euch par Reihen wieder zu
schreiben den letzen Brief die ich von
euch verhalten habe ist vorgangen Somer
in Juli gewesen da habe ich das wieder
schreiben auch etwas verseumt an 4
in Otober habe ich geschrieben ob ihr den Brief nicht
Bekomen habt oder ob ihr das schreiben
auch verseumt ich bin etwas Neugirig
wie es jetz bei euch aus siet ob die
Früchte gut gerathten ist u wie die Vieh
preisen sind wie ich gehört habe sind
Gerd Bohlken sein Famili auch Ausgewan[dert]
nun möchte ich wol wisen ob Gerke
auch mit gekomen oder ob er vorarbeiter
geworden ist Die Erte ist hier dies
Jahr nicht so groß gewesen wie vorgangen
Jahr bloß Weißen ist hir nicht Teuer Die kosten

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Buschel 1 Dular 15 zent ... Korn von 35
bis 45 zent Ochßen Fethen 100 Pf 5 Dular
Schweine 100 Pf 4½ Will H[o]bbi hat jetz 18
Ochßen verkouft auf 20 Februar abzuliefern
er futtert dies Jahr 34 Fett die Bekomen sat
Korn u 30 die bekomen etwas die werden
am Nächsten Somer Fett gemacht an Graß
Ich habe h euch geschrieben das ich bei ihn weg
war mein zeit war auch aus da habe i[ch] 4
Wochgen bei ihn weg gewesen u hab Korn
körtet war ich gut bei verdint habe u am
28 Otober bin ich wieder ihn gekomen 1 Marz ist mein
zeit wieder aus den kome ich nach Herma
Harms am 2 Jannuar ist er hir gewesen
da habe ich mich bei ihn vermithtet bis 1 Aug[ust]
das bekome ich in Monath 25 Dular u Wesche
diesen Winter bekome ich 21 Dular u die Wesche
die Wäsche das wird 1 Dular aufgerechnet Mon[at]
in Januar u Feb ist hir nicht so viel zu verdienen
die 100 Ochßen Futter ein Knecht die bekom[mt]
25 Dular oder wen ein schon lange auf ein
plaßt gewesen ist u der Bauer hat ein
gutes vermögen der bekomt das auch wohl
Aber sind viele die nicht Arbeiten und verzerren
ihr Geld in Monath 10 bis 12 Dular für Kost
aber die wollen nicht anders die hir Arbeiten

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Will kan hir jmer Arbeit kriegen
wenn die ein zeit nicht so viel verdin[t]
die ander zeit verdint wieder mehr
das ist so wie Vatter sagt ist Besser ein halbe[s]
Ei wie ein lose Dol -
Ferner ich habe euch in den letzen Brief
g[e]schrieben ob ihr nicht so gut sein wolt
und erkundigen euch bei den Bezirkweld
webel ob ich jetz wohl von Militär frei
komen kan one das ich nach der Kunsel
hin Brauche das möchte ich gerne recht
bald wissen Schreibt mich doch so gleich wieder
die Addresse ist an mich wie vorher schreibt nicht
Piterburg sonder bloß Tallulia Mennard Cunty

  u den William Hobbye
  u mein Name
  das ander weiß ihr ja
  was sonst auf muß

Grüßet Schwester Lena u Schw Bruno
u Erdwin u alle Freunde u Bekanten

  Ich verbleibe Eure Dankbaren
  Sohn
  Johann Diedrich Wilkens

Die Form Otober (2-mal) wäre als Assimilation nach PROTZE 2001 ein Hinweis auf den Drang zur Kürze dialektaler Ausdrucksformen. Als Temporaladverb fungiert 'denn' im Syntagma '1 Marz ist mein zeit wieder aus den kome ich nach Herma Harms', in dem auch die Vertauschung der Präpositionen 'nach' vs. 'zu' belegt ist. Eine Vertauschung der Präpositionen 'bei' vs. 'von' zeigt sich im Text zweimal: 'Ich habe euch geschrieben das ich bei ihn weg war mein zeit war auch aus da habe ich 4 Wochgen bei ihn weg gewesen'. Einen Hinweis auf den niederländischen Sprachraum gibt die Form war: 'Ich hab Korn körtet war ich gut bei verdint habe'. Ndl. 'waar' heißt auf Deutsch 'wo'. Dieses ndl. Wort verwendet der Sprecher auch in anderen Briefen des Korpus.

Petersburg 20 April 1875

  Liebe Eltern

In der beste Gesundheit nähme
ich die fäder zu der Hand um euch
par Reihen zu Schreiben Und wünsche
d[a]s euch diese par zeihlen euch bei
guter Gesundheit anträffen mögen
und solte es anders sein das würde
mich Leid thun von Bruder
Michgel habe ich den Brief erhalten
daraus habe ich sein u Eure Gesund[heit]
er sehn was mich von Herzen freude
machte wen ich das s[e]h Herman
u ich haben so oft bei die Post zu geh[ört]
...
... aber zu guter letz bekam
ich zwei auf ein m[a]hl Gerhard Peeks
hat mich geschrieben von Eierwa so wie
er schreibt ist er und sein ganßes Famieli
noch recht Gesund seine Mutter war wie[der]
verheirath der alte war 75 Jahr ein geboren[er]
Wüttenberger so wie Ger schreiben

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den geth ihr es recht gut
den Arbeiten Thun sie nicht mer
sie hatten bloß 2 Kühe und den Leben
sie von ihr ein komen Gerhard
läßt euch noch Herzlich Grüßen er
möchte noch gerne mahl Mündlich mit
euch sp sprechen Ich denke wen es G[o]ttes
wille ist über 2 Jahr euch zu Besuchen den
komen ich u H Harms vieleicht zu
samen wen wir so über Deuschland
sprechen wie da es nun ist den sagt er
er denkt die alte Heimath bald mahl wiede[r]
zu sehn Er hat dies Jahr ein gutes Jahr
gehabt 11 Jannuar haben wir 50 Schweine
nach Petersburg gebracht und haben in durch
schnitt gewogen 300 u 33 u ½ pfund
Stück und bekamt für das pfund [?]½
zent und 7 Junge Schweine hat er in
Petersburg verkauft die warren nicht so
schwer die haben nicht so schwer gewogen
200 und ejnige pfünde darüber und
drei gehen Morgen ab für 7 zent pfund
Weißen hat er bloß 100 Buschel verkauft

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Buschel zu 1 Dalar die ist Billig das letz
Jahr hat er bloß 10 Acker mit Weißen
gehabt aber dies hat er 30 Acker auf das
Land was er für ein Jahr gekauft hat wen
sie gerathen will da kan zimlich von
komen sie sieht bis jetz noch gut aus
de[r] Winter hat ihn kein schaden gethan
sonst wir haben strengen winter wieder
gehabt ich habe mich gefreut das ich diesen
winter keine Ochßen gefüttert habe dar sind
fiele die Füße bei anfrohren füttern das
geht hir all draußen Hahber haben wir
gesäht es geht jetz wieder bei das Korn Land
zu pflügen H Faß ist hir auch acht bei
uns gewesen der ist von Nebraska zurück
gekomen u dint hir jetz 5 Meihlen von
u[n]s bei Deuschen der sagt das sie das letz
Jahr dar nichts geernth haben das ungesiefe[r]
hat es dar all vernicht
Ferner muß ich noch par zeilen an
Bruder Michel schreiben das ich sein Brief
erhalten habe und die Neujkeiten darau[s]
ersehn das ist schön wen man solgen spaß anhört

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Wie du schrei[b]st hast du auch ja noch
jmner Lust um auszuwandern
ich denke F unsere Eltern hlaten dich
da wohl lieber |du kanst er doch noch wohl etwas helfen| wo du kein schaden
durch hast vieleicht kome ich mit
zwei Jahren den können wir Mündlich
zu sammen sprechen Ich freue mich das ichhir
bin ich hätte mich das unmöchlich ve[rd]inen
könen in Deuschland was ich b mich in
diese zeit Verdint habe sonst hir sind
mit unter welche die es hir nicht gefelt
Jan Herren ist hir auch vor 14 Tagen
gewesen der hat sein Plaß verkauft
nun will er diesen Sommer wieder
nach Deuschland u wie er den sagt dar
bleiben sein Sohn Di[e]drich will auch mit
und so wie heißt noch mehre auf Besuch
für dis mahl will ich mit mei[n]en [S]chreiben Schlißen
Ich möchte gerne wißen wie es mit Schwe[ster]
Lena ist ob sie noch zu Foßbarg ist oder war
Grüße Memte Helgens wieder von mich
sein Sohn könte froh sein das er hir ist u
nicht bei das geschwungen Soldaten Leben
Eebenfals Grüßet H Roßmüller
das ich sein Brief erhalten habe u ihn bald schr[eibe]

ELSPASS/DENKLER 2003, 152, vermuten, dass "denn ... nicht einfach synonym zu dann" verwendet wird. Zweimal in nicht-konjunktionaler Verwendung und einmal als kausale Konjunktion begegnet die Form den im Syntagma 'den geth ihr es recht gut den Arbeiten Thun sie nicht mer sie hatten bloß 2 Kühe und den Leben sie von ihr ein komen'. Die Form Hahber ist einmal belegt. Das Lokaladverb 'wo' erscheint im Text auf Ndl.: 'Ich möchte gerne wißen wie es mit Schwester Lena ist ob sie noch zu Foßbarg ist oder war'. Im Syntagma 'du kanst er doch noch wohl etwas helfen' begegnet die Form er, die als deutsches Wort hier keinen Sinn machen würde. Im Ndl. fungiert sie u. a. als Lokaladverb:

"Er is een heel typisch bijwoord. De betekenis is minimaal ... Er wordt ... gebruikt ... als bijwoord van plaats, met verzwakte betekenis van daar." (Houët 1997, 60 - 61)

Als Lokaladverb 'da' macht die Form im Beispiel durchaus Sinn, die in den morphologischen Kontext der undeklinierbaren Formen doch, noch, wohl, etwas passt.

"Kennzeichnend ... war die Tatsache, daß das Niederländische ... als Kultursprache von der gesamten autochthonen, nicht-niederländischen Bevölkerung eines bestimmten Gebietes übernommen wurde nach einer Periode, in der das Hochdeutsche (als Nachfolger der ausgestorbenen niederdeutschen Schriftsprache) die einzige Kultursprache gewesen war (vor allem in Ostfriesland, Bentheim und Lingen)." (KREMER 1983, 22)

Petersburg den 3 Dezember 1876

  Liebe Eltern

Euren Brief den ihr mich
geschrieben habt den habe ich erhalt[en]
war ich euhren Wohl sein aus
er sehn habe das Vatter noch jmer
an sein Krankes Bein Leidet
das Thut mich Leid was mich
anbetrieft bin ich jetz recht
Gesund in August habe ich ein
kurße Weile das heiße Fieber
gehabt Schreibt mich was J B
Eden sagt ob er auch hir auch wiede[r]
n[ac]h Amerika her will oder ob ihn
es hir nicht gefallen hat
Neujkeiten kan ich euch nicht viel
schreiben der Hei Diercks der
ist vor einjgen Tagen zurück auch
geheiratet mit Magreta Hobbi

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Die komt geburtig von Bulden=
barg den Hei hat ja in Hopels
gedient Ich bin den 1 September
wieder bei H Harms in Arbeit
gegangen Er läßt sein Vatter u
Bruder u Kinder grüßen das
er den Brief erhalten ha[t]
mit die Traurig Botschaft von
Heinrich sein Frau das die gestorben ist
Er ist noch Recht Gesund mit
sein Famili er will auch ein
ein Brief schreiben
für dies mahl mit mein schreiben
Schlißen und wünsch euch ein
gutesn Weinachten u Neujar

  Es grüßt euch Euren
  Sohn
  J Diedrich Wilkens

Vergesset nicht das schnell wieder Schreiben
Hei Rademacher ist noch Gesund
der ist vor acht Tagen zurück hir
bei gewesen ...

Als relativisches Lokaladverb erscheint die Form war im Syntagma 'Euren Brief habe ich erhalten war ich euhren Wohl sein aus er sehn habe'. Diese Form bildet das adverbielle Element des Pronominaladverbs 'woraus' in Getrenntstellung. Die Affrikate [ts] wird durch Frikativ ersetzt: 'ein kurße Weile'.

Petersburg den 8 Dezember 1878

  Liebe Eltern

In der beste Gesundheit nähme ich
die fäder zu der Hand um euch par
zeihlen zu schreiben und hoffe das
die bei euch in Guten Gesundheit
anträfen mögen ich habe den letzen
Winter Brief an euch geschrieben
und bis jetz noch keinen antwort dar
auf erhalten wie das komt das w[e]iß
ich nicht ob ihr nicht wieder schreiben
Thut oder niemand zu kriegen könt
es felt doch war an das papir
kost doch nicht so viel u frei machen
Braucht ihr sie nicht hir sind wohl
schlegte zeiten jetz um Geld zu machen
aber so viel um Brief zu bezahlen
habe ich noch jmmer sonst hir
kann jetz nicht viel machen ein

[neue Seite]

Schwein von 20 fund 5 Dular
Buschel Weißen von 75 bis 80 zent
und Korn 20 zent und so alles ist
hir niedrig ich und meinen Schwager
Herman haben in Otober nach
Eierwa hin gewesen in der N[or]d
West part von der Statt das ist 600
Meihlen von hir dar ist das Land noch
Bildig von 5 bis 10 Dular Acker
das Land ist dar auch leicht zu bearbeite[n]
und so wie der grund u früchte aus
aussah ist das dar viel besser wie
hir und Gesunde Klimah hir giebt
es viel fieber im Herbst Ich dachte
wie wir dar waren mich gleich Land
zu kaufen aber die bekannten
rathen es mich ab die meinten ich
solte mich erst ein Jahr was Renten
und den was mit gelägenheit
was kaufen den könte ich Besser
Thun zu Renten war dar auch
genug mehr platzen und die beste
gelägenheit will den auch ja gerne
haben und hatten auch nicht lange zeit

[neue Seite]

so ha[be] ich mich auch noch nichts geheuer[t]
so habe ich Rippe Frerichs die auftragt
um mich was zu heuren Rippe hat
viel mit uns herum gefahren und
läßt euch durch mich vielmahls Grüße[n]
u so Bernd Pecks u sein Bru Wilhelm
dar worden sehr viel Bekanten
und hatten es all gut aus sehen
Gerd Hartman sagte zu mir
wen ich euch wieder hin schreiben
Thät so möchte mein Vatter so gut
sein u grüßen sein Bruder Ulfert
und fragen ob er sein Arbeit in
Hopels noch nicht bald gethahn häte
Nun denken wir den Nächsten
Frühjar dar hin zu ziehn Wen
wir Gesund bleiben in ausgang Febru[ar]
oder anfang März die früchte u Vieh
u Schweine die will ich hir verkaufe[n]
Pferde u Wagen die ander geräthe
wollen wir in Eisenbahn Wagen
Thun den sind wir mit 2 Tagen dar

[neue Seite]

ein solgen wagen von hir aus
bis dar kost ungefähr bei 100 Dular
für dies mahl will ich mit
meinen Schrheiben Schließen
So seid so gut und Schreibt gleich wieder

  Es grüßt euch
  Euren Sohn
  Johann Dr Wilkens
  Addese
  Johann Dr Wilkens
  Petersburg Menard County
  Staat of Illinois
  Bremen Newjark

Ndl. 'waar'/"war" für dt. 'wo' begegnet hier als das adverbielle Element des Pronominaladverbs 'woran': 'es felt doch war an'. Die Affrikate [pf] wird durch Frikativ ersetzt: fund. Der Ausfall finaler Dentale wird in der Form jetz (3-mal) evident sowie in letzen. Die Form kost (2-mal) als 3. Pers. Sg. Ind. Präs. des Verbs 'kosten' entspricht nach PROTZE 2001 dem Drang zur Kürze dialektaler Ausdrucksformen und äußert sich hier in der Abschwächung einer nebentonigen Silbe. In den gleichen Zusammenhang fällt die Form Bildig ('billig') als Dissimilation. Die häufige Verwendung des Verbs 'tun' wäre als sparsamer, sogar einförmiger und bequemer Gebrauch der Verben ebenfalls ein Kennzeichen dialektaler Ausdrucksformen. Dieses Verb 'tun' wird hierbei unterschiedlich funktionalisiert: als Vollverb ('die ander geräthe wollen wir in Eisenbahn Wagen Thun'), als Bestandteil von (lexikalisierten) verbalen Konstruktionen ('den könte ich Besser Thun zu Renten', 'ob er sein Arbeit in Hopels noch nicht bald gethan häte') oder auch als Hilfsverb ('ob ihr nicht wieder schreiben Thut', 'wen ich euch wieder hin schreiben Thät').

"Die ... oft als dialektal ..., sogar als niedersächsisch ... charakterisierte tun-Periphrase zum Ausdruck des progressiven Aspekts ... war ... nie nur auf das Norddt. beschränkt, sondern immer gemeindeutsch ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 150)

Eine Vertauschung der (Hilfs)verben 'sein' vs. 'werden' zeigt sich folgendermaßen: 'dar worden sehr viel Bekanten'. Semantisch und pragmatisch interessant ist das Nebeneinander deutscher und englischer Ausdrücke zur Bezeichnung desselben Begriffes: Renten (2-mal) vs. geheuert, heuren.

"Eine niederdeutsche Besonderheit stellt der Zusammenfall von hd. wie und als mit all ihren verschiedenen Bedeutungen im nd. äs dar. Die Briefschreiber benutzen häufiger regionalsprachliches wie und verraten hierdurch ihre sprachliche Herkunft." (WEBER 1995, 271)

Dies ist in den Syntagmen 'viel besser wie hir' und 'Ich dachte wie wir dar waren mich gleich Land zu kaufen' zu erkennen.

Lemars den 23 Juli 1879

Lieber Bruder u Schwigerin Kinder
Euren Brief ist in der beste Wohl
sein in unsern Händen gekomen
war wir Eure Gesundheit auch
a[u]s ersehn haben was uns große
freuden machte Du schreibst mich
Bruder das ihr lust habt auszu
wandern war ich min Meinnung
über sagen solte das will ich thun
und jeder kan schreiben was er will
nach Deuschland Lügen u auch warheit
das ist nicht so wie ich wohl all
gehört habe als ich noch bei euch war
jeder muß gut Prahlen über
[A]merika sonst würde er bestraft
das ist all nichts, Ich habe euch
vor 3 oder 4 Jahren zurück geschrie[b]e[n]
ob ihr wohl lust habt auszuwan[dern]
in die zeit war hir Geld zu machen
so lang wie ich Knecht gewesen bin
habe ich geld gemacht u so lang wie

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Verheirath bin haben wir gar nig[t]s
gemacht u wir haben all beide
jmer hart geschaft all was wir
gemacht haben das haben wir an
unsern geräthte wieder verloren
vor zwei Jahren da war es noch all
zimlich Theuer bei einkauf u nun ist es all
Bildig u d[a]s Rent Land heure[n]
waren hog bei Petersburg viele
haben in diesen Jahren dar Geld
verloren sonst wir können nicht
sagen das wir verloren haben
aber wir haben auch nicht gewonen
den letzen Herbst bin ich u meinen
Schwager hir her gewesen u habe[n]
uns das Land erst besehn das Lan[d]
ist hir so gut das kan nicht
beser gewünscht werden u hatten
auch gute früchte aben den
Weitzen l war nicht besonders
man Jahr vorher war sie besser
gewesen u das Land war bildig
wir dachten hir müßten wir
sein u den auch diesen Frühjahr her

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gezogen u diesen Platz den ich hab[e]
sind 100 [u] 35 Acker das Land war
mich zu viel für mich allein nun
ist Tina ihren Bruder Herman bei
uns in Kost der ist noch unverhera[tet]
u hat das Korn mit das haben wir
mitnander bearbeit 90 Acker das
sie[h] nach gut aus aber nach 14 Tag ode[r]
Dreiwochen müßen wir noch jmer
schrecken haben für die Heuschr=
ecken das die uns Runnirren den
ist es so weit das die kein schaden
m[e]r daran Thun können wen die es
noch nähmen sollten den sieht es hir
Traurig aus ich habe 35 Weitzen gesäht
5 Gärste u 5 Hafer von den Haffer
habe ich nach etwas von abgemacht
sonst habe sie es all gefressen
Gartten früchte haben wir aus
geflannßt u gesäht u ist eben
auf gekomen das ist was wir da
von gesehen haben Kantoffeln haben
sie uns laßen wen die Heuschrecken
recht über komen u sieht man nach

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die Son[n]e den sieht es grade aus
als wen Schneen Thut Wen sie
wieder komen u nähmen uns
das Korn den gehen wir diesen
Herbst wieder weg ungefehr 2 bis
Dreihundert Meihlen wieder zurück
dar sind sie bis so weit her noch
nicht ge[we]ssen so wie ich das [ge]schr[ie]
ben habe das ist war so weit als
ich in Amerika bekan bin ist jetz
schlegt bei Petersbug auch dar ist
es fruhbar Trocken gewesen H Har[ms]
u Tina ihr Bruder haben mich g
sie haben 8 April Rägen gehabt
u 1 Juni hat D Dirks das es auch
jmer Trocken war u der Tag Lohln
ist über all niedrig jetz durch die
schlegtten zeiten u was kein gut[e]n
Arbeter ist kan kei[n] Arbeit krig[en]
Ich Tätte gerne euch all mahl
wieder sehen u gerne mit euch
sprechen aber ich will euch jetz
nicht dazu Rathten das ihr nach
Amerika komt ...

[loser Zettel]

Grü[ß]e Hinrich Rohsmül[ler] von
mich ich werde noch Gesund ich wolte
nun bald hin zu Wölfe suchen dar war
wir hin gehen in Eierwa da sind noch
welche aber sie thun kein Mensch was
Grüßet unser Eltern u schreibt
doch gleich wieder Es Grüßt Dich dei[n]
Schwager u Bruder
J D Wilkens

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Mei[ne] Addrese ist nach Eier[wa]
via Bremen Ne[w]
Mr Johann Died Wilkens
Lemars Plymouth Co
St Iowa
Nord=Amerika

Die Form min als Possessivpronomen deutet auf die fehlende nhd. Diphthongierung î > ei im Nd. Als Dissimilation begegnet die Form Kantoffeln.

" P a r t i z i  p [-] I I - F o r m e n   o h n e   g e - P r ä f i x  sind für die meisten westf. und nordnieders. Dialekte kennzeichnend ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 145)

Dies wird im Syntagma 'Kantoffeln haben sie uns laßen' deutlich.

Le Mars den 23 November 8 Dezember 79

  Liebe Eltern Schwager u Schwester

Euren Brief haben wir Gesund u wohl
erhalten u Euren Wohl sein dar aus
ersehn es freudt mic[h] Vatter das Eure[n]
B[ein] wieder besser ist da habt ihr auch
all viel schmerzen mit ausgestanden ich
denke dar oft an wir wollen hoffen das es
nun gut bleibt so wie ihr schreibt ist
Unkel Diedrich u Unkel Gerd gestorben
sind das Thut mich leid aber wir müßen ja
all den weg an ein Jung u einjgen
zählen ja nach ziemlich jahren wen [i]ch zu=
rück denkt wie schnel sind sind 10 Jahren ferflo[ß]
en das Menschen Leben ist bloß ein kür[ßen]
la[u]f Liebe Eltern Schwester Lena schreibt
mir das ihr Brun u Lena Euren Platz u
was ihr habt über Tragen wolt nach euren
absterben das ihre sein solt August u Michel
sind da auch ja mit einverstanden das Thut
man ich verlange nichts mehr als ich möcht[e]
gerne haben das ihr in frieden Leben Thut ...

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... ich habe n[u]n
selbst einen Platz ich habe mic[h] 80 Acker Land
gekauft für 5 u ½ Dalar Acker 60 Acker ist gef=
lügt u 20 Acker liegt noch in der Präd[?] es ist
all gut Pflug land Haus u stall muß ich
mich diesen Winter noch Bauhen den ziehen
wir den 1 März auf unsern eigen Land
Liebe Eltern ich hätte gerne ich weiß ja [ni]cht
ab ihr da Lust an habt das ihr euch Abnähmen laßt
wen ihr da lust an habt so hatte ich es gerne
wen das Geld knapt bei euch ist dich ich bezahle
es gerne so schreibt nun so gleich was es kost
will ich euch gleich schicken Wen wir mit
einander Gesund bleiben so kan ich unsern
Sohn sein Großeltern auch doch zeigen er ist
bis so weit noch jmer Gesund wen an ihn
rufen Thut er versteht es gut er war 7 Wochen
alt da ist er von Evlut Pestor getauf[t] wor
den er heißt wie Vatter Johann Friedrich
Ich habe mich gewundert Liebe Metha über
das du all so gut u so schönen brief schreiben
kanst an mich ich danke dich dafür sei nur recht
fleißig das du recht viel lerhen Thust das
wird dich nach her freuen ...

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...
ob ich das noch weißt als ich Abschied von euch
n[a]hm du [u] deine Mutte waren alein in Haus
das sind 7 Jahren her den vergangen Septembe[r]
das ist recht du warst klein ich habe dier all oft wi[e]
der angedacht kanst du dich das noch Erindern
was du an mich sagts Didi Om bief do[c]h bief
doch u weinst, ich glaube nicht das du dich das
no[ch] denken kanst schreibe mich dar über
Liebe Schwager u Schwester Lena du schre[bst]
mich dar über ob ich dar mit Einverstanden
bin das unsern Eltern euch das so über Tragen
wolt das bin ich nach unsern Eltern ihre Todt
wen wir länger leben sollen als sie bin ich kein
Pfennig von euch verlangen wen ihr es auf
mein wort ankomen laßen wolt ist gut oder
sonst schickt mich ein schein den will ichmich ab
schreiben u so macht es auch mit unsern Brüder
so [da]s ihr euch sicher seid, Ich bin nun mit
mein Korn aus fälde holen färtig ich
habe noch ein Tag Arbeit wir haben dies
Jahr gutes korn es ist hir noch nicht hog
den preis es koss 20 zent Buschel schweine
sind 4 Daler hundert Pfund so Theuer sind
sie vor lange zeit nicht mehr gew[e]s[e]m

[neue Seite]

Diesen brief ist lange in arbeit wen
des Abens zu Haus komt den hat auch
kein lust zu schreiben für dies mahl
wil ich mit meinen schreiben schlißen
Den Grüßet August mit sein Famili
wieder Schreibt doch gleich wieder

  Es grüßt euch
  Euren Sohn
  Johann D Wilkens

In der Funktion einer Modalpartikel erscheint die Form man im Syntagma 'das Thut man'. Die Form Erindern wäre eine Dissimilation. Interessant ist der Wegfall des Artikels in der Präpositionalphrase 'Korn aus fälde holen': Es erfolgt zwar keine Kasusmarkierung durch den Artikel, das Substantiv zeigt die Dativflexion aber über das Dativ-e an.

"Auch im Wortinnern ist ein Wegfall von Dentallauten zu beobachten ... Hier handelt es sich allerdings um eine Vereinfachung von Konsonantenclustern, die nicht regionalspezifisch, sondern im gesamten dt. Sprachgebiet zu beobachten ist ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 145)

Dies betrifft die Form Abens.

L[e]mars den 11 Dezember 80

  Lieber Bruder u Schwigerin

Euren Brief ist in guten Gesundhe[it]
bei uns angekomen Das Bild hat
uns große Freude gemacht wie ich
da[s] Bild sah wurde mein herz so vol[l]
das ich für ein Augenbick nichts sagen
könte u mußte Weinen grade wie
ein Kleines Kind ich hatte ihr gerne
persönlich bei mich was doch nicht gut
geht kenen kan ich sie noch sehr gut
aber Vatter wie es aus sieht hat Stack
geEltert Mutter nicht so viel schreibt
mir wie es jetz mit sein Bein ist u
ich denke doch Lieber Bruder Wen die
A[lt]en Hülfe Nötig sind das du u Augus[t]
sie so viel wie es Möchlich ist Uuterstützt
sie sind Alt Wir wissen nicht wie lang
der Liebe Gott uns sie am Leben Läßt
Über die Neujkeiten die du mich geschrie[ben]
hast habe ich mich gewundert die Ernte
bei euch ist ja nicht von Bes[te]n wie ich

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aus Euren Brief gesehen habe, wir
habe hir dies jahr ni[cht]s zu klagen
über die Ernte war gut Weizen hatte
ich bloß 10 Buschel gesäht u hate 136½ B
wieder gebracht Haffer 20 B gesäht 252
wieder geernth Rocken 2½ gesäht 27 ...
Wehl Korn habe ich 48 Acker das macht
per Acker 50 Buschel das wirdt mich [im]
ganßen winter wohl nähmen das ich
das zu samen kriege der Winter ist uns
hir so früh Streng angeträtten was
wir h noch nicht beläbt haben am 16 Otober
des Abends 5 Uhr Trath hir ein Schne
Sturm an ich haben ein s[o]lg[en] nicht Starker beläbt
unser Stahll ist ungefehr 20 Schritt von
Haus u mit unter hatte ich genug zu
Thun das ich da hin käm u wieder zurück
u hat angehalten bis zu den 17 Nac[h]ts
Manchen haben viel Vieh u Schweine verlo
ren das kam uns unvermuthten das
Arme Vieh viel davon muß so am freien
aushaten unsern hatte alle ziemlich Schutz
bloß wir habe bloß 2 Alte Schweine verlor[en]
Kantoffeln waren auch no[c]h all in der grund

[neue Seite]

u nach dem Sturm auch guten frost
par Tagen da wurde es wieder
bis zu 13 November so das wir wieder
flügen könten u von 13 bis jetz jmer
zimlich wieder stark gefrohren u mit
unter auch etwas schne so das wir jmer
von unsern Korn einholen gehalten
[wu]rden heute war der angenahm
ste Tag für die letzte 4 Wochen
Die preissen von die früchte ist hir
Wizen pr Buschel von 80 zu 85 zent Haffer
B 23 z Korn von 23 zu 27 z Schweine
3 D 90 bis zu 4 Daler hunder Pfund
die Butter per Pfund 18 z Eier 25 Du=
zen die Preisen gehen so Einjgen
Maßen so das die Leute[n] gut da mit aus
könen Rocken den preiß habe ich nicht
benärkt die kostet 65 z. p. Buschel die wir
auch wohl höer bei euch sein Kantoffeln
sind hir auch nicht von besten gerathten
wir haben 50 bekomen wir Brauchen
sie nicht alle verkauft haben wir auch
noch kein u was die preis ist weis ich auc[h]
nicht ich habe vor 3 Wochen gehört 35 zent

[neue Seite]

Du schreibst über Dein Sc[h]wager
Hinrich das der wissen will ob hir jme[r]
gelägenheit ist Land zu kaufen er kan
einjge zeit so viel Land kaufen er wie
er nun haben will über all so weit ich bekan
bin in Amerika in Alten gegend ist
das Land höher wie hir Aber sage zu ihn
wen er Auswandert u er kan gehen wa[r] er
will er Thut am Besten das er er[st]
Land Mithtet u sagt gar nicht das er
Geld hat u findt erst aus was ihm am
Best u Bildigst past Ferner ich möchte gerne
Wissen was August gesagt hat über Inke u H
F Schmidt dar wirdt wohl nichts von we[r]d[en]
das die komen den möchte ich gerne wissen
wie es mit die Cnahl ist die Breitte u
Tieffe u war sie gnau lang geht u wie
weit sie sind mit die Arbeit den Grüße
B M Memmen er Möchte so gut sein
u schicken mich ein guten Kunjack er
hat die Masse davon u ich könte dar g[u]t
[e]in von vertragen Du sch[r]e[i]bst mich das
dein kleine Tochter gerne wissen will wa[s]
für ein Kappe ich Trage die soll sie sehn
so gut wie ich ihr sie zeigen kan w[e]n
das Bild nicht in diesen Brief komt
so komt es Woche spater das papier geht
zu Ende u die Augen woll schlaff so das
ich es auf geben muß Es grüßt Euch
D[ei]n Bruder J D Wilkens Schreibe doch
...

"Dem privaten Charakter ihrer Aufzeichnungen entsprechend, mußten die Autoren Sprachregeln und -konventionen nicht einhalten. Sie verstanden einander, obwohl sie häufig den Wortlaut der mündlichen Umgangssprache übernahmen und obwohl ihre Briefe von einer gewissen Lässigkeit im Umgang mit den orthographischen Regeln, von umgangssprachlichen Verkürzungen und Kontraktionen, Abweichungen in der grammatischen Kongruenz, syntaktischen Brüchen und Ellipsen sowie mangelnder Stringenz der Argumentationen zeugen." (SCHIKORSKY 2000, 454 - 455)

Lemars den 2 Juni May 1882

  Lieber Bruder Schwigerin Kinder

Nach langen warten u auf schiebung
nähme ich die fäder um euch par worten
[wi]eder zu schreiben Und hoffe das
diese pahr Reihen in guten gesundheit
bei euch an komen vor einjgen
Tagen zurück habe ich mit Tina Dirks
gesprochen sie wird die erste zeit wohl
Heirathten mit Gerd Janssen Ludwigs
von Repshold ich denke sie bekomt den
ein guten Man sie ist bis jetz noch bei
ihre Mutters Unkel sie hat mir den
Gruß von euch gethan u sagt das ihr
a[uc]h noch lust habt auszuwand[e]r[n]
ihr müßt es selbst wissen besser ist
es hir die preisen von das Vieh Schw[e]ine
u früchte sind jetz ziemlich hoch was ziehlich
gute Kuh ist 40 Dalar Schw[e]ine vor 14
Tagen zurück habe ic[h] 8 verkauf das hundert pf[und]
für 7 D 10 z 2130 pfund war die gewicht
...

[neue Seite]

Das Korn ist auch hoch in preisen
Buschel wird zu 65 zent bezahl Weizen
1 Da 15 zent u so ist es mit alles wer
was über hat der bekomt guten pr[ei]ß
Die früchte Weizen Rocken u Hafer sieht
gut aus Korn ist noch ziehlich klein d[en]
April u Mai war es Naß u Kalt
wir hatten viel Starken Nachfröste wen
das jetz man warmer wird den geht es
noch all gut jetz haben wir wieder
Regen es scheint das es jetz aufhalten
will nun muß ich wieder bei Korn
pflügen u mit schreiben Stopff[e]n
den müßen wir euch noch zu wissen
Thun das uns am 24 April wieder
ein Sohn gebohren ist wir haben j[e]tz
3 Söhne Friedrich Johann u August
schreibe ob August sein Sohn auch all
Soldat werden muß es werde doch
vor ihn hir viel Besser wen er auch
kein Soldat werden Brauht wen ich in
sein platz war Ich Tätte den weg ganß
gewiß finden Nach Amerika

[neue Seite]

Grüß[t] uns[e]rn Eltern von [uns]
u schreibt gleich wieder

  Es Grüßt euch
  Euren Bruder
  J D Wilkens

Im Syntagma 'ihre Mutters Unkel' kann die Voranstellung des Genitivattributs vor dem Bezugswort sowie die Schreibung Unkel englisch motiviert sein ('her mothers uncle'). Die Form des Possessivpronomens 3. Pers. Nom./Akk. Sg. Fem. ihre trägt als Bestandteil des Genitivattributs nicht den richtigen Kasus. Das Syntagma 'wen das jetz man warmer wird den geht es noch all gut' enthält die Form man als Modalpartikel. HELBIG 1988, 177, nennt folgende Eigenschaften dieser Partikel:

  1. in Aufforderungssätzen; unbetont
  2. Umgangssprachlich (besonders norddeutsch); gestaltet die Aufforderung familiär, zwanglos und mindert ihr Gewicht, modifiziert die Illokution vom Befehl zur höflichen Aufforderung und Bitte. Der Gesprächspartner wird zugleich ermuntert, das in der Aufforderung Ausgedrückte zu tun.

Im Beispiel ist die Partikel in einen Konditionalsatz eingebunden. Die Aufforderungsfunktion ergibt sich daraus, dass die Bedingung der Ausdruck eines persönlichen Wunsches ist, dessen Erfüllung der Sprecher dringend erhofft. Nach ELSPASS/DENKLER 2003, 153, wäre auch die Vertauschung der Präpositionen 'vor' vs. 'für' als norddt. Regionalismus zu werten. Im Text hierfür dieser Beleg: 'es werde doch vor ihn hir viel Besser'. Die Form Stopffen im Syntagma 'mit schreiben Stopffen' kann als Amerikanismus gelten. Das Syntagma 'nun muß ich wieder bei Korn pflügen' wird als Äußerung durch die Präposition 'bei' nicht-standardsprachlich. In der heutigen norddt. Umgangssprache gibt es das Verb 'dabeigehen', dessen Zusatz 'dabei' ähnlich wie das Pronominaladverb in Getrenntstellung verwendet wird. Dieses Verb wird im Beispiel durch das Zusammenvorkommen mit dem Modalverb 'müssen' sowie der verbalen Konstruktion 'Korn pflügen' (steht hier für das adverbielle Element 'da') verkürzt.

Lemars den 10 Dezember 1882

  Lieber Bruder u Schwigerin Kinder

Ich nähme mir die freiheit
um euch par Reihen wieder zu
Schreiben u wünsche euch damit
in guten Gesundheit anzutreffen
Ich möchte gerne wissen ob ihr
d[en] letzen Somer auf den letz[en]
Brief auch antwort erhalten habt
u ob ihr mich dar auf auch wie[der]
geschrieben habt Unnser Eltern
haben mich geschrieben das sie 3
briefe an mich geschickt haben u habe[n]
keinen antwort darauf erhalten
den Müßen briefe verlorn gehn
ich vor 2 Monacht zurück 1 na[ch]
unsern Eltern u Ein nach Bruder
August geschrieben ich möchte gerne
wissen ob sie die auch erhalten
haben u wie es mit Inke ist
ob er Soldat ist ich habe ihn
hin geschrieben er sollte hir her
komen, Nun will ich euch noch

[neue Seite]

ein kleine geschenk zu
Weihnachten schiken eure kleine Tochter
möchte gerne Wissen was für
ein kap das ich Trage nun kan
sie den auch sehn was für ein
Rock das ich Trage ein solchen
werde auch gut für dich we[n]
du auf die Schildwachge stehs
in Stroth bei die We[i]hnachs Beuhme
das fell komt von ein Büffel
Ochs oder wie ihr sie nehnt die har
ist nach die aut seit wie ihr den auch
wohl seht u ihn seit ist ausgefute[rt]
ein solgen Rock ist warm wen
ich die an habe auf Wagen bei
kalten Wetter den friehrt mich
nicht er kostet 18 Daler
für dies mahl will ich mit mei[nen]
schreiben auf hören Nun Grüßet
unsern Eltern von uns
u schreibt doch gleich wieder

  Es grüßt euch Euren
  Bruder u Schwigerin Kind[er] J D Wilken[s]

Im Syntagma 'nun kan sie den auch sehn was für ein Rock das ich Trage' wird evident, dass für "das Wort denn in dem für das Norddt. typischen, nicht konjunktionalen Gebrauch" kaum eine "einfache... Vertauschung mit dem temporalen Adverb dann" angenommen werden kann (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 152). Im Beispiel begegnet 'denn' in der Kombination 'denn auch'/"den auch".

"Die ... Kombination denn auch läßt sich ... in Aussagesätzen nachweisen ... Tatsächlich hat denn in Aussagesätzen ... nur die Funktion, den Bezug zum vorangegangenen Beitrag zu verdeutlichen ..." (THURMAIR 1989, 232)

Im Syntagma 'die har ist nach die aut seit wie ihr den auch wohl seht' fungiert 'denn'/'denn auch' ebenfalls als Mittel der Kohäsion. Konstrukte wie aut seit oder ihn seit zeigen an, wie das Englische die sprachlichen Gewohnheiten des Sprechers beeinflusst. Hierauf deutet auch die Äußerung 'Büffel Ochs oder wie ihr sie nehnt', die eine Unsicherheit in Bezug auf die Muttersprache thematisiert.

Lemars den 23 November 1883

  Liebe Eltern!

Nach langen warten auf ein ein
Brief von euch nähme ich dich fäder
um euch par Reihen wieder zu schreibe[n]
u wi[ll] sehn das ich euch damit in
der Beste Gesundheit anträff[e]n möge
Und Schiken euch ein Abbildung von
uns u unsern drei Söhne wir haben
in Juli es schon hin gewesen u bis
so weit her ist es jmer verseumt
um fort zu schicken Die Ernte ist
dieses Jahr ziehmlich Die Weitzen w[ar]
gut u so n die Haffer Korn ist nicht
v[on] Besten das Letzten Somer war
es jmer Naß u Kalt u anfang
S[e]ptember hatten wir schon starken
Nachfrösten u so ist das Korn leicht
geblieben wir sind jetz daran zu
Gittern Wen das Wetter so bleibt
wie es jetz ist den kriegen wir

[neue Seite]

es wohl mit 14 Tagen zu
samen bis so w[e]it ist der Herbst
gut Die preisen von Vieh Schwene
u früchte sind nicht so hoh wie es
gewesen ist Schweine sind hund[er]t pf[und]
3 Da 75 zent B Weitzen 75 zent Hafer 20
Korn Altes 33 z u neues 25 u let[z]tes
Jahr war 40 z und so ist es bald mit
alles man wir haben hir nichts zu
klagen wen man Gesund ist es ist
hir viel besser als in Deuschland
Schreibt mahl wie es ist mit Unkel Jan u
Tant zu Marx ob die noch im leben
sind wen ihr dabei komt so Grüßt
sie von uns für dies mahl wil
ich mit meinen schreiben Schlißen
Nun Hoffen wir das deisen Brie[f]
mit das Bild euch in Besten Gesundhet
anträffen wird so wie es uns
verläßt Es Grüßt euch Herzlich
Euren Sohn Schwiger Tochter u Kinder

  Johann D Wilkens

Nun s[e]id doch so gut und Schreibt gleich wieder

"Ihr Briefwechsel hatte eine Ersatzfunktion, weil durch die ... Trennung die kommunikative Normalität aufgehoben war ... Da es ... keinen gemeinsamen Alltag zu organisieren gab, wurde die Kommunikationsbasis immer brüchiger, die Erlebens- und Erfahrungshorizonte entwickelten sich zunehmend auseinander." (SCHIKORSKY 2000, 454)

Das Adverb 'bald' wird in der Bedeutung 'fast' verwendet (vgl. ELSPASS/DENKLER 2003, 151 - 152), in der Bedeutung von 'aber' fungiert die Form man als adversative Konjunktion: 'so ist es bald mit alles man wir haben hir nichts zu klagen'.

Lemars den 6 Februar 1884

  Lieber Bruder Schwigerin u Ki[nder]

In der Besten wohlsein nähme ich
die fäder zu der Hand um euch par
Reihen wieder zu schreiben Euren
Br[ie]f von 6 Jannuar haben wir
erhalten u Euren wohl [daraus] ersehn
was uns Freude gemacht hat
Wir haben schon oft über euch gespr[ochen]
das wir vieleicht wohl kein Brief von
euch wieder kriegen u mit der Ant=
wort dauert es lange Ferner schreib[st]
du ja das ihr von Hapels nach Legabiru[m]
bei den Grafen von Wedel sind was
wir auch schon vor her gehört habe[n]
da[s] du da Föster sei worst da habe
ich mich schon über gefreut Ich habe es
gerne das mein Vamihli es gut geht
Wie du den schreibst ist dein Gehalt
ja nicht hog g[en]ug was mich auch dünk
vieleicht hast du es was gemüthliger
wie ich das du nicht so hatt schaffen brau[chst]
wie ich Aber wen der Grafen [mich] auch so

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Dalers geben wolt so vill Marks als
du bekomst Tät ich mich doch bedanken
Ich denke wen der Grafen dich nicht mehr
geben will ist das beste das du dich für
die Bedinung bed[a]nken [t]uh[s] ich kan dar auch
nicht weiter über schreiben. So wie du
schreibst ist dein Schwager Hin[r]ich
dar ja bei euch auf Besuch der kann
euch das all Besser sc erzählen wie das
man schreiben kan Ich bin froh das
ich Ausgewandert bin Wen ich in Deu
schland geblieben wer so hatte ich mich
auch vieleicht kümmerlich durch helfen müß[en]
wie viel ander sich auch durch schlagen
Thun So lang wie ich in Amerika bin habe
ich noch kein Mangel gehabt an Lebenmitt[el]
mit unter hatte ich gerne Hülfe ins [A]rbei[t]
gehabt aber ich habe mich jmer durchgeschla[gen]
Ich habe mich diesen Winter noch ein
span Pfer[d]e gekauf u ein Knecht
von 1 März an auf ganßes Jahr gemi[tetht]
für 200 Dalar vor mich allein hab ich zu
fiel arbeit u auf Taglohn habe ich auch
schon oft [wehe] gehabt aber jmer nicht wen ich sie ha[ben]

[neue Seite]

wolte Den Tuh ich euch zu wissen das un[s]
am 21 Jannuar eine klei[n]e Tochter geboh[ren]
ist Tina u das kleine sind jetz gut zufri[eden]
Und schicken euch auch ein Bild von uns
u unser 3 Söhne es ist nicht vom besten
gerathten die kleinen sitzen nicht still
u [d]en Tag glaube ich war auch nicht r[e]cht
gut dazu Ich habe den zweiten auf A[r]m
Johan Tina August Friedrich
sitz zwischen uns Ferner schreibst du
Bruder ob ich kein Lust habe um euch
zu Besuchen das hab ich h u große Lust
daran Aber wie es jetz ist Tina mit
die 4 Kleinen Kinder u was sonst an
Plaßt ist vieh u andern sachen ganß zu
andern Leuten über laßen das ist ziehm[lich]
h[at] Es kan sein doch das ich kome wen
ich Bald kom den Nächsten Winter. Ich u
Tina haben darüber gepro[chen] die gespr Winters sind
hir zimelich lang u Streng aber das
Land ist hir gut u Steigt gut im
preisen es ist von 20 D bis 27 was
verkauft wird u das Land u die Befidun[g]
u was sonst an plaßt ist nicht so gut wie

[neue Seite]

an unsern Wen nun ein [L]iebhaber
komt u hat Lust an unsern platz zu
kaufen der kan an komen für 30 Daler
Acker wir nähmen nicht weniger
den verkaufen wir alles was wir
haben u gehen nach platz war die Wi[nter]
nicht so lang sind. Vieleicht gehe ich erst
auch nach Mihsuri u untersuchen es da
u wen wir kein ander platz fin[den]
könen den kan es möchlich sein das wi[r]
noch wieder nach Ill gehen u kaufen
uns da ein Platz wieder solte es so gehn
wie ich schreibe den halten wie den N[e]chsten
Somer verkauf u Tina u Kindern gehn
nach ein von ihr Brüder u ich kom den
zu euch den Nächsten Winter auf Besuch
u solte es nicht so komen den kan es noch wohl
par Jahr daue[rn] Liebe Neffe Gesine Nun
muß ich auch dah par Reihen schreiben Du
schreibst das ich dich versprochen habe um dich
zu holen wen ich kom den kanst du man
Bereith sein Wir haben jetz auch so ein Mä[dchen]
von 11 Jahren ob sie das Nächste[s] Jahr Bleibt
das wissen wir noch nicht Und ein soles M[ädchen]
wie du bist sind wir woll Nöthtich [bei] d[e]n
Klei[ne]n Fettern u Carsine das kanst du [w]ohl
an das Bild sehn sei nur Bereit wen du hir
bist das felt Fl nicht an Schweinfleichs u Eier
u Weißbrod das hat dein Onkel Hinrich dich
auch doch er[z]ählt das genug von das in Am[erika]
ist w[ie] vil Hüner das wir am platz habe[n]
das weiß ich nicht den ich habe sie noch nicht
ge[z]ählt Schweine sind 54 vo[n] letzten ... Som[er]
für dies mahl will ich auf höh[ren] mit me[in]
Schreiben wie du siehst das papir geht zu
Ende Es grüßt Euch alle Herzlich

  Euren Bruder J D Wilkens

Schreibt gleich wieder so ihr wolt

"Die besonders für die westfälische Umgangssprache beschriebene  [ r ] - V o k a l i s i e r u n g  macht sich gelegentlich in den Briefen bemerkbar ... durch den Ausfall des postvokalischen r ..." (ELSPASS/DENKLER 2003, 142)

Dies betrifft die Formen Föster, hatt, hat. Neben der norddt. Verwendung des Wortes 'wie' nach dem Komparativ ist die seltenere, hierzu komplementäre norddt. Verwendung des Wortes 'als' nach dem Positiv belegt: 'vieleicht hast du es was gemüthliger wie ich', 'der kann euch das all Besser erzählen wie das man schreiben kan' vs. 'so vill Marks als du bekomst'. Standardgerecht verwendet wird 'wie' als Vergleichspartikel in 'das du nicht so hatt schaffen brauchst wie ich'. Im Syntagma 'wen ich kom den kanst du man Bereith sein' vermittelt die Modalpartikel 'man' eine Aufforderung.

Lemars 1/9 Jannuar 1886

  Lieber Schwager Schwester u Kinder

Nach langen Aufschibung mit
das wieder schreiben nähme ich
[d]ie fäder um euch par Reihen
wieder zu schreiben Und Wünsch[e]
das ich euch in den besten Gesundh[eit]
damit antreffen möge Was uns
anbetreft geht es auch noch so Einjg
maßen am 20 Nov ist uns wieder
einen kleinen Sohn wieder gebohren
Sontag vor Neujar ist er getauft
sein Nam ist Michel Gerhard
U[n]ser[e] Tochter Trienke Catharina
die Tantß mitunter um die Wiege zu
u sprechen tuht sie albald wie Alter[s]
Me[n]sch Wen wir sie nun man erst groß
haben 4 Knechte u ein Magd den da wir[d]
wohl arbeit da sein letzten Somer
haben wir noch wirder 80 Acker angeka[uft]
für 25 Da[lar] per acker das liegt ost vor die 160

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war wir auf wohnen für dies
Jahr haben wir es noch [w]ieder Verreth
für 170 Dular ich dachte es war noch
grad so gut um andern Jahr denke
ich wen es gut geht es selbst zu unser[n]
Land bearbeiten zu könen wir hab[en] 2 Juge
ferde die werden wohl Tüchtig zum
Dinst sein um andern Jahr
Ferner haben wir gehört von Harm
Lübben er ist Burder von Gerd Lübben
von Räphold der wonth hir in unse[rn]
gegend das Bruder August schwer
krank in Wassersucht ist wir woll[en]
doch hoffen das es bei diese zeit wieder
Besser mit ihn ist sei doch so gut
u schreibe uns dar doch gleich über
wei es ihn geht. der Gerd Hartman
sein Frau ist am 3 diesem Mo [a]uch
auch gestorben J H Dircks ist
Nejar bei u Ricka bei uns auf
Besuch gewesen der wohnt 1 Meil
½ von uns er hat sein Schwigersohn
Land gerent der liegt all 2 Jahr
Krank u an sein auf komen liegt
auch zweiffel an der Docktor sagt

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sein Krankheit ist Blutvergifftu[n]g
man w[ie] Mehre meinen u es wird
[e]s auch wohl sein der B[e]infraß
aus sein[e] B[e]ine sind all kleine Knochen
heraus gekomen wen es am Einjgen
stellen sich es was bessert so bricht
es am andern plaß wieder auf
Die Ernten war hir nicht so gut
letz Jahr als Jahr vorher Korn
hat wohl so viel Buschel gebracht
aber nicht so schwer Weitzen haben
von 28 a[c]ker 333 bu ist auch nicht so schwer
wie letz Jahr Haffer war grad so
gut u so ist auch all noch bildig
im preisen Weitzen 50 z Korn 22 z
Haffer 21 Schweine 3 D 25 z hundert fun[d]
[W]ir haben unsern letz Jahr verkauft
von 2 D 85 z bis 3 D 90 z vor 5 Jahr
zurück hatten wir nicht viel di[s] habe
ich welche verkauft für 7 D 15 z das
große Unterschidt Wen man gesund
bleibt den gets jmer noch Letzten
Somer hatten wir hir 2 Große Stü[rme]
am Mitte Juni die erste am freitag

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den andern acht Tagen [s]päter die hab[en]
viel schaden [a]ng[e]richt da sind Einjge[n]
Häuser u Stallen um u fort gewäht
wo noch Einjgen Menschen u vieh
ihr Leben auch bei verlohren haben
3 Wochgen später schweren Hagel
Schuer von Meihl u halb breitte u
schlug die f[r]üchte all kurz u k[l]ein
es war hart an zu sehn
wir sind von allen schaden gut
davon gekomen
für dies mahl wil ich mit mei[nen]
schreiben aufhören
So seid alle Herzlich gegrüßt

  von Euren
  Schwager u Bruder
  John D Wilkens

Seid so gut u schreibt doch g[l]ei[ch] wieder

  Addresse
  Vina Bremen Newjor
  Mr John D Wilkens
  Lemars Plym[ou]th Conty
  Iowa Nord Amerika

Die Form albald im Syntagma 'sprechen tuht sie albald wie Alters Mensch' wäre als Zusammensetzung aus Temporalpartikel 'all' und Adverb 'bald' gleichsam doppelt norddeutsch: Norddt. 'all' steht hier für hd. 'schon', das "zwar auch zeitlich interpretiert werden [kann], ... aber keine Zeitverhältnisse im strengen Sinne aus[drückt]", d. h. es "werden Zeitbewertungen vorgenommen" (DUDEN 1998, 369); norddt. 'bald' steht hier wieder für hd. 'fast'. Das Syntagma 'Wen wir sie nun man erst groß haben' ist ein Konditionalsatz ohne Hauptsatz. Diese Ellipse enthält die Modalpartikel 'man' und ist Ausdruck eines dringenden persönlichen Wunsches, wodurch sich eine Aufforderungsfunktion der Äußerung ergibt. Auch als adversative Konjunktion fungiert die Form man im Text: 'der Docktor sagt sein Krankheit ist Blutvergifftung man wie Mehre meinen u es wird es auch wohl sein der Beinfraß'. Daneben erscheint als standardmäßige Verwendung der Form das Indefinitpronomen 'man': 'Wen man gesund bleibt den gets jmer noch'. Eine Vertauschung der Präpositionen 'bei' vs. 'zu' zeigt sich im Syntagma 'wir wollen doch hoffen das es bei diese zeit wieder Besser mit ihn ist'.

Lemars 20 Sept 2 Otober 86

  Liebe Eltern

Nach langen warthten und verlan=
g[en] auf [e]in Brief von euch was
jmer verg[ä]bens ist Nähme ich die
fäder wieder zu der Hand um
euch par Rreihen wirder zu schrei[ben]
ich habe euch doch alle zu letz geschrieb[en]
vieleicht das ihr uns hir vergeßen
Thut wir haben doch nitunter gerne
Nachricht wie es Euch und Unsern
Brüder geht Ihr werdert jetz ja
all ziehlmlich alt nun möchten
w[i]r doch gerne wissen ob ihr noch
jmer gesund s[e]id und ob ihr beiden
auch noch etwas herum könt u
wie es mit Vatten sein Bein ist
ich möchte doch noch gerne wieder
was von Euch hören Ich Hoffe das
es Euch gut geht was uns an betri[eft]
sind wir auch noch Gesund mit

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Einandern Schreibt mir so ihr
wolt wie die Er[n]te bei euch gew[e]sen
ist hir bei uns brauchen wir nicht
zu klagen Weitzen u Hafer g[ie]bt
es mehr von Acker wie letzten Jahr
Korn ist so gut ein zeitlang hat
es etwas gelitten an die Trocke[n]hei[t]
sonst werde es vill besser geworde[n]
wie letztes j[a]h aber jm gaßen sind
die preisen niedrig für dies mahl
will ich mit meinen schreiben
auf hören es ist zeit zu bett
doch das ich es nicht vergeße
Bernd P[e]cks der wohnt hir auch
in diesem gägend der läß euch noch
Herzlich Grüßen der wird euch die
Erste zeit euch sein Abbildung schicken [w]ie
er sagt Nun grüßt und Brüdern
von uns Und vergeßet doch nicht das
wieder schreiben Zum Schluß seid
Herlich gegrüß von eure Kinder

  Johann D. Wilkens
addresse Vinna Bremen New
  Mr John D Wilkens
  Lemars. Plymauth Co
  Iow
  Nard Amerika

"Trotz der offensichtlichen Orientierung am mündlichen Sprachgebrauch ihres Alltags waren sich [die Schreiber] aber doch der besonderen Anforderungen von Schriftlichkeit bewußt, wie sich in ihrer Tendenz zu sprachlicher und stilistischer Überanpassung zeigt. Im Bemühen um den richtigen Sprachgebrauch kam es häufig zu hyperkorrekten Bildungen. So wurden etwa Schreibweisen, die fälschlicherweise als umgangssprachlich empfunden wurden, durch die vermeintlich korrekte Schriftform ersetzt." (SCHIKORSKY 2000, 455)

Im Syntagma 'Nach langen warthten und verlangen auf ein Brief von euch was jmer vergäbens ist Nähme ich die fäder wieder zu der Hand' wird der Konjunktiv II der Form Nähme hyperkorrekt verwendet. In Anlehnung daran wird in den Formen vergäbens und fäder <e> durch <ä> hyperkorrekt ersetzt.

Le Mars den 9 Aprill 1887.

  Werthe Bekanten!

Weil es mir auferlegt ist, euch eine
traurige Botschaft mitzutheilen,
was euch doch gewiß auffallend ist, und
e[u]er Herz weich macht, wenn es auch so
hart wie ein Stein wär.
Liebe Bekanten, Friederich Wilken
und Frau, euer Sohn Diederich Wilken
ist am 27 März, Nachts 12 Uhr
gestorben, und hat blos L 8 Tage krank
gewesen, sie haben gleich für den
Dockter geschickt, und hat 7 mal bei ihm
gewesen, der Dockter hatte gesagt, er
habe das Lungenfieber, er hat so als
Tina sagt, in den ersten Tagen viel
Blut gespeit, der Dockter hatt noch ein
paar Stunden vor seinen Tod bei ihm
gewesen, Tina habe ihn gefragt ob er
wohl wieder besser würde, da hätte er
gesagt das er etwas besser war ...
...

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Aber wer weiß wie nahe mir mein Ende
es war grade 10 Uhr gewesen sagte Tina
da war er schlimmer geworden, und er
hätte geklagt daß er heftige Leibschmerzen
bekam, und dabei war er ganz vom
Verstand gekommen als er endlich wieder
zur Ruh sich begeben hatte war er
eingeschlafen, und wiewohl sie gedacht
hatten, daß er wohl süß und ruhig
schlafen thät, war er eingeschlafen, für
ewig von uns allen geschieden. Amen.
Er ist am 29 März begraben worden
Vormittags um 11 Uhr, und es war ein
sehr langer Leichenzug, es waren 26
Wagen hinter ihn an zu nachfolgen
welchen Diederrich die letzte Ehre geben
wollten, Sein Leichentex war 1 Thimotimn
1 ... 15-16. Im Hause wurde der Gesang
gesungen No 398. Bedenke Mensch das
Ende, und so weiter, in der Kirche wurden
die Gesänge gesungen No 298. und
408. ...
...

[neue Seite]

...
Er hat einen schönen Sarg bekommen
wo sein Name aufstand, und, Ruhe
in Frieden, so als Tina sagt kostet
es 46 Dollar, liebe Bekanten er hat
es wohl verdienet, denn er hat hart
gearbeitet, Tina ist jetz allein mit
ihren 5 kleinen Kinder, und es doch
ein harter Schlag ist für sie.
Ich möchte euch denn bitten
Friederich Wilken und Frau, ihr
möchtet denn so gut sein, und es Dierich
seine Brüder, Schwester, Schwager und
Schwigerinnen zu Theil werden lassen
denn Tina möchte sie gerne schreiben
aber sie kann nicht, denn ihr könnt
euch wohl denken wie sie zu Muthe
ist, so vergest es nicht und seid
so gut, und saget es allen Freunden
Verwandten und Bekanten, der dies
schreibt ist Johann Janssen sein Tochter
...
...

[neue Seite]

Bin ich todt? O nein ihr Lieben,
Oben strömt das Leben frei,
Aller Tod ist drunten blieben,
Alles Sterben ist vorbei,
Wollt ihr wissen, wie es geht,
Kommt höher, kommt und seht.

  Liebe Bekanten seid so gut und
  schreibt Tina wieder und vergeßt
  es nicht
   
  Seid freundlich gegrüßt von
  Anna Catharina und
  Wilhelm Herrn.

Auffällig ist der korrekte Gebrauch des Konjunktivs I und II bei Paraphrasen: 'der Dockter hatte gesagt, er habe das Lungenfieber', 'Tina habe ihn gefragt ob er wohl wieder besser würde, da hätte er gesagt das er etwas besser war', 'er hätte geklagt daß er heftige Leibschmerzen bekam', 'wiewohl sie gedacht hatten, daß er wohl süß und ruhig schlafen thät'. Als Mittel der Kohäsion erscheint das Wort 'denn' in den Syntagmen 'Ich möchte euch denn bitten', 'ihr möchtet denn so gut sein'. Diese Funktionalisierung wäre eine Standardisierung einer umgangssprachlichen Verwendung eines Wortes.

Plymouth Co. Le Mars den 10 März 1889.

  Liebe Eltern

Ja gewiß liebe Eltern Ihr
habt gewiß schon oft an uns
gedacht wie es Tina und den
lieben Kindern geht. So wage
ich es liebe Eltern um es
Euch zu schreiben wie es hier ist
Ich kann es ja nicht länger
Verschweigen Tina Sie bat mir
um meine Hand und so
haben wir am 1 März
Hochzeit gehabt Liebe Eltern
Daß hätte ich nicht gedacht das
ich Diedrich sein Nachfolger
werde aber Gottes Wege sind
Wunderbar, Wen ich zurrück
Denke für gut 2½ Jahren als
Diederich mich heuerte als Knecht
für Ihm zu arbeiten und habe
es Ihm auch ja gleich zu gesagt,

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Er ist auch schwer von mir
gegangen er war gut ich habe
auch ja alles gethan was ich
nur konnte aber da war
ja keine Hülfe da er hat den
Artz jeden Tag gehabt abe[r]
daß Lungenfieber war
keine Hülfe für Ihm, Er
dachte immer an seine Kinder[n]
Ja gewiß Liebe Eltern daß
könnt Ihr ruhig glauben
daß ich den Kindern an=
nehmen als meine eigene
und Ihr Vater sein werde
Und Sie auf Ziehen werde in
der Zucht und Vermahnu[n]g
zum Herrn Friederich und
Johan und August und das
kleine Tochter gehen zur
Schule diesen Sommer
Der kleine Diederich i[s]t vor kurze
Zeit krank gewesen aber

[neue Seite]

er ist doch jetz wieder besser
Wir haben jetz 30 Stück Hornvieh
und ein span Esel und ein
span junge Pferde und ein
Füllen und 88 Stück Schweinen
[F]rüchten sind nicht theuer
Weitzen kostet per Buschel
80 A. Korn per Buschel 18 A
Hafer 17 A. Schweinen 4 Doll[ar]
das 100 M, Der Winter ist
hier schön Schnee haben wir
fast gar nicht gehabt. Wie
ist der Winter bei Euch Liebe
Eltern? Hiermit muß
ich schliessen Mit einem

  Herzlichen Gruß

an Euch allen Liebe Eltern
Schreibet uns auch wie es
Diederich seine Brüdern und
Schwerster geht. Achtungsvoll
Hinrich Chr Hinrichs
und Frau und Kindern

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Grüßt meine Eltern von
uns allen zu Abickhafe
Lehrer Hinrichs und Frau
und Kindern

  Adsse
   
  Hinrich Chr Hinrichs
  Plymouth Co Le Mars
  L Bocks 596.
 
 
  Schreibt so bald wie
  möglich wieder?
  ? 1889. 10 März.

Verwechslung der Kasus zeigt sich in den Syntagmen 'Sie bat mir um meine Hand', 'für Ihm zu arbeiten', 'keine Hülfe für Ihm', 'Er dachte immer an seine Kindern', 'daß ich den Kindern annehme als meine eigene', 'vor kurze Zeit', '88 Stück Schweinen' (statt kasusindifferent), 'Schweinen 4 Dollar' (statt kasusindifferent), 'Früchten sind nicht theuer', 'Mit einem Herzlichen Gruß an Euch allen', 'Hinrich Chr Hinrichs und Frau und Kindern' (statt kasusindifferent), 'Lehrer Hinrichs und Frau und Kindern' (statt kasusindifferent), die Konstruktion aus Dativ und Possessivpronomen statt eines Genitivattributs in 'Diedrich sein Nachfolger' und 'Diederich seine Brüdern und Schwerster', Vertauschung der Präpositionen 'vor' vs. 'für' in 'für gut 2½ Jahren', der Ausfall finaler Dentale in den Formen Artz und jetz (2-mal) sowie Genusverwechslung im Syntagma 'das kleine Tochter'. Interessant ist der Wegfall des ge-Präfixes in der Form span ('Gespann' = Substantivableitung aus Verb) im Syntagma 'ein span Esel und ein span junge Pferde', der mit dem norddt. Regionalismus der Partizip-II-Formen ohne ge-Präfix in Zusammenhang stehen könnte. Das Syntagma 'Schnee haben wir fast gar nicht gehabt' belegt eine standardsprachliche Verwendung des Adverbs 'fast'.

New Yorck d 17te Juni 1845.

  Geliebte Tochter!

Aus Mutter Ihrem Schreiben habe ich zu meinem gro
ßen Leidwesen gesehen, daß Du meine Liebe Clementine
... Deiner Krankheit wo wir voneinander Abschied nahmen
... Ihrem Schreiben noch nicht wieder hergestellt gewesen bist
Lebe jedoch in der Hoffnung daß dies mein Schreiben Dich
nicht allein in guter Beßerung sondern völlig hergestellt
antreffen wird, viele Freude hat es mir gemacht mein
süßes Kind wie Mutter mir versichert mir auch einen
Brief hast Schreiben wollen, allein Deine Krankheit habe
Dir es nicht Erlaubt, ich lebe jedoch in der Hoffnung wen
Mutter wieder schreibt so erhalte ich ... auch ein
paar Zeilen von meine Tine, habe daher von Deine kleinen
Hände auch noch etwas von Deutschland zu hoffen, Lebe
daher stets in Hoffnung ...
...
... August wäre in New
Orleans es ginge Ihm nach Seinen Briefen sehr gut
Auguste würde vermuthlich künftigen Frühling
dortkommen, ich weiß nicht mehr zu schreiben grüße
alle Ich verbleibe bis ich den letzten Odem aushau
che auf nach oben

Dein  
  dich liebender Vater
  B. N. Witte

Nur zwei norddt. Regionalismen enthält dieser Text, die beide auf die Verwechslung der Kasus 'Akkusativ' vs. 'Dativ' zurückgehen: 'von meine Tine', 'von Deine kleinen Hände'.

New Yorck January, 10/1846.

  My Dear Wife!

Deinem letzten Brief durch den Schäfer Deines
Bruders habe ich ungefähr 8 bis 14 Tage später nach dem
mit dem Hemde versehenen Paquete durch J. Mehrtens &
A. Roosentreter richtig erhalten und zu meiner großen Ver
wunderung daraus entnommen daß Du unzufrieden über
mein langes Stillschweigen bist, ich kann es nicht unterlaßen
dieses zwar in Eile da ich von Dreyer aus Uthlede höre
daß Er nach Deutschland schreibt und meinen Brief durch Einschlu[ß]
an Dich besorgen laßen will, von welchen ich es Heute Mittag
erfahren und um 2 Uhr Nachmittag selbst an Bord des Schiffes
gehe mit einigen Zeilen zu Erwiedern indem ich fest über
zeugt bin daß man mir in Hinsicht meines Schreibens totaliter
nichts zur last legen kann seit meiner Abwesenheit von
Hagen habe ich 3 Briefe zum Bremerhafen geschrieben selbst
zur Post gebracht, und! wen ich nicht Jene auch frankirt
von New Yorck habe ich wen ich nicht 4 Briefe geschrieben nur
weis ich mir nicht zu entsinnen mit wen den einen ... auch
an Dich mein liebes Weibchen 1 an Dich & 4 an meine lieben
Kinder durch H. Heilshorn an Dich 2 Bogen stark 1 an Dich
an Dich p. Post mit dem Schiffe Republick Captain Docker
oder Togler Auguste Kleinschmidt wollte I ihn erst
Besorgen daher ist das Signe durch Gute darauf gemacht
und da Sie nicht mit kahn ausgestrichen und im Briefsak
geworfen und dem 3ten mit Peter Roosentreter mit Anschlu[ß]
des Tagebuches meiner Reise auf See in einen meiner Briefe
habe ich über Auguste & Gustaff Kleinschmidt

[neue Seite]

so viel ich konnte genaue Auskunft gegeben wie mit P.
Roosentreter nachzufragen ob Döschers die Sachen mit den
Schiffe Republick erhalten grüße Döschers von mir in
Nahmen Ihrer Kinder Martin seine Frau hat vor 2 Monat
einen kleinen Sohn gebohren daß ist der zweite in Eile muß
ich schließen wir sind alle Munter wen ich Finck schreibe
will ich Dir wenn irgend möglich die Hemde bezahlen viele Grüße
an alle die Sich meiner Erinnern wie auch von M & H Döscher
an Ihre Verwandte & wir befinden uns alle Wohl ein gleiches
Hoffe ich auch von Euch I am respectfully

  Your Man
  B. N. Witte

Die englische Sprache in Begrüßung und Verabschiedung zeigt, wie sich die Sprecher allmählich an ihre neue sprachliche Umgebung anpassen.

In den 37 privaten Auswandererbriefen des Korpus konnten norddt. Regionalismen aus mehreren grammatischen Bereichen herausgestellt werden:

I. phonetisch-graphischer Bereich

Vokalismus

Konsonantismus

II. Flexionsmorphologie

III. Morphosyntax

IV. Lexik

V. Syntax

Neben diesen norddt. Einflüssen wiesen die Briefe fremdsprachliche Elemente auf:

Niederländische Einflüsse

Amerikanische Lehnwörter

Korn (vermutl. für dt. 'Mais'), acker (vermutl. für engl. 'acre'), Renten/gerent(et), varmern/varmerrei, Stopffen ('to stop'), aut seit/ihn seit

Die Verwurzelung der Umgangssprache in der Mundart zeigt sich im Rahmen der Konvergenz von 'Dialekt' vs. 'Standardsprache' zumeist durch Kontaminationsformen, unverfälscht dialektale Varianten traten in den Texten gar nicht auf, als Ausnahme kann das Pronomen 'min' gelten sowie die Adverbien 'waar' und 'er', die auf den niederländisch-deutschen Sprachraum deuten.

Die Verwendung des Wortes 'denn' als Temporaladverb und als Mittel der Kohäsion sowie des Wortes 'man' als Modalpartikel und sogar adversative Konjunktion offenbart Umgangssprache als Substandard, der durch Funktionalisierung neue Formen von Standardsprachlichkeit hervorbringt.

4 Zusammenfassung [nach oben]

Die Standardsprache hat durch die Alphabetisierung im 19. Jh. als geschriebene Sprache begonnen die gesprochene Sprache zu beeinflussen. Daraus ist die Umgangssprache hervorgegangen.

Sprachlicher Standard wurde durch die Verbreitung schriftlicher Kommunikation zum Ausdrucksmittel der Gesellschaft. Die Standardisierung der Sprache bedeutete nicht nur die Verdrängung bzw. Umwandlung des Dialektes, sondern als Prozess innerhalb der Sprachkultur auch die Anpassung und Veränderung der gesellschaftlichen Umgangsformen.

Der distanziertere Ton oder die Distanzsprachlichkeit der Standardsprache trifft in der Umgangssprache auf den persönlicheren Ton oder die Nähesprachlichkeit des Dialektes. Die Umgangssprache wird durch ihre Fähigkeit zur Standardisierung sprachlicher Formen als neuer Substandard der Standardsprache ähnlicher als dem Dialekt, was sich bei der Lektüre der Auswandererbriefe bestätigt hat. Da die kommunikative Situation der Auswanderer aufgrund der räumlichen Trennung nicht auf Nähe beruht, haben sie in ihren Briefen nicht im Dialekt geschrieben, sondern Distanz überbrückende sprachliche Formen gewählt.

Die Umgangssprache bringt als Varietät zwischen Dialekt und Standardsprache neben eigenständig standardisierten sprachlichen Formen dialektgeprägte sprachliche Formen hervor. Fehlender Standard kann in den Briefen auch deswegen nicht einfach als verfehlter Standard abgestempelt werden.

"Sprecher, die einen Dialekt aktiv beherrschen, haben die Möglichkeit, vom Dialekt zur Standardsprache und umgekehrt von der Standardsprache zum Dialekt zu wechseln. Das kann schlagartig geschehen (Code-Switching) oder langsam von der einen Variante in die andere übergehend (Code-Shifting)." (SCHWITALLA 1997, 44)

Code-Switching bzw. Code-Shifting vollzieht sich sicherlich genauso zwischen Umgangssprache und Standardsprache bzw. zwischen Umgangssprache und Dialekt, durch die Verwandtschaft der Umgangssprache mit den beiden anderen Varietäten ist dies natürlich nicht immer so offensichtlich wie der Wechsel zwischen Standardsprache und Dialekt.

"Alternanzphänomene, die auch permanentes code switching umfassen können, werden, so steht zu erwarten, die Regionalsprachforschung noch vor manche schwierige Frage stellen. Sie haben nach meiner Einschätzung sehr viel dazu beigetragen, daß wir derzeit noch so wenig über die im deutschen Westen gesprochenen Regiolekte wissen." (CORNELISSEN 1999, 111)

Die orthographischen und sprachlichen Fehler der Auswandererbriefe wurden in der Analyse als Abweichungen vom sprachlichen Standard angesehen und als Regionalismen bewertet.

"Die Strenge, mit der die Normen für Einheiten einer linguistischen Ebene gelten, hängt wesentlich von der durchschnittlichen Zeitdauer der Einheiten ab ... Demnach müssen die Einheiten der Laut-/Buchstaben-Ebene am strengsten geregelt sein, die der Textebene ... am wenigsten." (NAUMANN 1989, 69)

Der in den Auswandererbriefen offensichtliche, permanente Verstoß gegen die Norm auf der Laut-/Buchstaben-Ebene hat wenig Einfluss auf die Textebene, die aufgrund ihrer normspezifischen Anspruchslosigkeit allen Fehlern zum Trotz eine allgemein verständliche Aussage transportiert.

"Die Begrenztheit der Zahl von Einheiten auf einer Ebene dient ihrer schnellen Auffassung und Produktion: pro Zeiteinheit sind einfachere Entscheidungen möglich, so daß die Prozesse des klassifizierenden Hörens und flüssigen Artikulierens entlastet werden, ja sogar automatisiert ablaufen können. Damit wird der Transport der höheren Einheiten, um die es in der Kommunikation eigentlich geht, erleichtet ... Die Normstrenge für eine Ebene läßt sich so letztlich aus einem prozeduralen, weil zeitlichen Aspekt des Kommunikationsvorgangs begründen." (NAUMANN 1989, 69)

Bezogen auf die schriftliche Kommunikation hätten orthographische und sprachliche Fehler als Normverstöße auf der strengst reglementierten Ebene der sprachlichen Produktion den höchsten zeitlichen Stellenwert. Die auf der Textebene vermittelte Botschaft ist von dieser zeitlichen Bindung gelöst. In der Neuen Welt begangene Fehler wären in der Alten Welt von daher belanglos.